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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Guillou
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Zuschlag bezahlt, um unter Deck gehen zu dürfen. An Deck war es ungeheuer kalt.
    Das verstieß natürlich gegen die Regeln. Den Passagieren war es strengstens untersagt, sich im Maschinenraum aufzuhalten. Er würde sie rauswerfen müssen. Er beschloss
jedoch, als Akt der Nächstenliebe sozusagen, noch etwas damit zu warten, damit sie sich zumindest halbwegs aufwärmen konnten. Als er sie so insgeheim beobachtete, schien es ihm, als seien sie gar nicht wegen der Wärme gekommen, sondern wegen des Dampfkessels und der Maschine. Sie gestikulierten lebhaft und mit eifrigen Gesichtern. Jon Tygesen trieb es Tränen in die Augen.
    Entschlossenen Schrittes verließ er sein Versteck und fragte mit strenger Stimme, was die Passagiere im Maschinenraum zu suchen hätten. Die beiden kleineren Jungen sahen aus, als wollten sie Reißaus nehmen, aber der älteste blieb stehen und antwortete in nahezu unverständlichem Dialekt, dass er seinen Brüdern nur zeigen wollte, wie eine Dampfmaschine funktioniert. Jon Tygesen geriet ein wenig aus dem Konzept und musste sich ein Lächeln verkneifen.
    »Du bist mir ja ein aufgeweckter Bursche, du weißt also, wie eine Dampfmaschine funktioniert?«, fragte er amüsiert nachsichtig. »Ist es dann überhaupt nötig, dass ich sie euch erkläre?«
    Die drei Jungen nickten eifrig, und Jon Tygesen begann seine gewohnte Führung, die er manchmal für die vornehmen Leute aus der Stadt machte. Er ging systematisch vor, begann mit der eigentlichen Kraftquelle, dem Kohlenfeuer, dann wandte er sich dem großen Dampfkessel aus Kupfer und Messing zu und erläuterte die Kraftübertragung mithilfe von Kurbelwellen und Zahnrädern, samt den mechanischen Grundsätzen und allem Drum und Dran.
    Die Jungen lächelten selig, erstaunlicherweise schienen sie alles zu verstehen. Zwischendurch warf einer von ihnen, anfänglich noch schüchtern, eine Frage ein, wenn Jon Tygesen
etwas übersprungen hatte, um die Sache nicht unnötig zu komplizieren. Wie in aller Welt konnte es sein, dass drei kleine Fischerjungen von Osterøya sich derart gut in einem modernen Maschinenraum zurechtfanden, den sie nie zuvor gesehen hatten?
    Nein, räumten sie ein, sie seien noch nie an Bord eines Dampfschiffes gewesen. Aber sie hätten etwas über Maschinen gelesen, in einer Zeitschrift. Jedenfalls bestand kein Zweifel daran, dass sie alles verstanden, was er sagte, und ungewöhnlich interessiert waren.
    Als die Ole Bull an dem neu gebauten Kai an der Murebryggen anlegte, vergewisserte sich Jon Tygesen, dass die drei Jungen auch wirklich von jemandem abgeholt wurden. Er winkte ihnen zu und kehrte dann nachdenklich in seinen Maschinenraum zurück.

    Sie erkannten ihren Onkel Hans kaum wieder, der schon seit mehreren Jahren in der Stadt wohnte. Er wirkte überraschend schmächtig und hatte, verglichen mit ihrem Vater, kleine Hände. Seine Fragen, wie die Reise verlaufen sei und wie es seiner Schwester Maren Kristine gehe, beantworteten sie schüchtern und einsilbig, während sie durch die Stadt gingen.
    Die Jungen waren schon mehrmals in Bergen gewesen, aber nie für eine längere Zeit. Im Sommer, bei gutem Wetter, hatten sie manchmal ihren Vater und ihren Onkel Sverre mit dem Fang begleiten dürfen, der direkt am Kai verkauft wurde, aber bis in die eigentliche Stadt waren sie nie vorgedrungen. Nachdem sie nun ihre erste Unsicherheit
und Scheu überwunden hatten, fragten sie ihrem Onkel Löcher in den Bauch.
    Onkel Hans lebte in einer sogenannten Etagenwohnung in der Verftsgaten nah am Wasser. Hier wohnte ein Haufen fremder Menschen in ein und demselben drei Stockwerke hohen Haus. Die Wohnung bestand aus Zimmer und Küche mit Dienstmädchenkammer. Dort sollten die drei Brüder wohnen. Onkel Hans hatte ihnen eigenhändig drei kleine Kojen gezimmert.
    Onkel Hans stellte sie seiner Frau Solveig vor, und sie machten einen Diener und gaben ihr die Hand, wie es ihnen ihre Mutter aufgetragen hatte. Solveig lobte ihre schönen Wollpullover und sagte etwas über die Gabe ihrer Mutter, was sie nicht verstanden.
    Zwei Dinge am Stadtleben waren besonders seltsam. Das Wasser kam aus dem Wasserhahn, obwohl man mehrere Meter über dem Erdboden wohnte. Das andere Gewöhnungsbedürftige war die Art, wie die Stadtbewohner schissen. Neben der Küchentür hing ein Schlüssel, der zu einem der nummerierten Plumpsklos auf dem Hof passte. Dieses Klo wurde mit einem Nachbarn geteilt, sonst durfte es niemand benutzen. Einmal in der Woche kamen die Nachtmänner und
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