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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Guillou
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Und
sie erstatten uns die Kosten zurück, indem sie unsere Eisenbahn bauen.«
    Nachdenkliches Schweigen breitete sich um den Tisch aus. Man bestellte ein letztes Glas Cognac Soda und stieß mit Christian an, der von jetzt an ein halbes Jahr lang auf Kosten der anderen trinken durfte.
    »Das ist eine großartige Idee«, meinte Schiffsreeder Mowinckel schließlich. »Ich stimme in der Sache und rein vernunftmäßig Dünner zu, aber Gott allein bestimmt über das Schicksal der Jungen und nicht wir, wie sehr wir ihre Begabung in unser heiß begehrtes Projekt auch einbringen möchten. Lasst es mich so sagen: Die gute Absicht sucht immer nach wohlbegründeten Motiven zur Wohltätigkeit. In diesem Fall haben wir eine junge, mittellose Witwe mit drei außerordentlich begabten Söhnen. Genügt das etwa nicht für einen Anfang?«
    Die anderen nickten zustimmend und hoben einträchtig ihre Gläser. Man beschloss, dass Christian die Witwe aufsuchen sollte.

    Es war ausnahmsweise einmal ein vollkommen wolkenloser Junitag. Es hatte zehn Tage lang unablässig geregnet, als Christian von der Murebryggen auf das Deck der Ole Bull stieg. An Bord befanden sich an diesem Tag ungewöhnlich viele, vor allem deutsche Touristen. Vielleicht hatte das mit dem Wetterumschwung zu tun. Der Erste-Klasse-Salon war so voll, dass man eng und unbequem saß. Christian wollte eben einen Spaziergang an Deck machen, als ihn die Frau, die neben ihm saß, fragte, ob er Deutsch spreche. Als er bejahte, begann sie ihn über Wikinger auszufragen, und
da er sich selbst für dieses Thema begeisterte, konnte er fast alle ihre Fragen beantworten. Ihre Reisebegleiter stellten weitere Fragen, und er fühlte sich fast wie ein Reiseleiter.
    Die Ausländer hatten einen Narren an den Wikingern gefressen, und im Sommer strömten sie von nah und fern an die Fjorde. Das war gewöhnungsbedürftig, aber natürlich gut für Norwegen, denn diese Ausländer hatten viel Geld.
    Als er sich schließlich loseisen und an Deck gehen konnte, betrachtete er die Aussicht mit anderen Augen. Wer in Westnorwegen geboren war und nichts anderes kannte, für den sah diese Welt natürlich aus. Glitzerndes Wasser, schneebedeckte Berggipfel, Steilhänge, die direkt ins Wasser reichten, und hohe Wasserfälle. Aber für Leute aus einer rußigen Großstadt wie London oder Berlin war das sicher ein besonderes Erlebnis!
    Vielleicht sollte er auch in den Tourismus investieren. Die Seilerei in allen Ehren, aber würde sie auch in Zukunft so gewinnbringend sein wie die neuen Hotels für die Touristen? Er nahm sich vor, dieses Thema für eine abendliche Unterhaltung im Club vorzuschlagen.
    Als er an dem einfachen Steg von Tyssebotn an Land ging, die Gangway schwankte bedenklich, war ihm etwas beklommen zumute. Er konnte sich nicht länger mit der Aussicht ablenken, jetzt musste er sich auf die beschwerliche Verhandlung konzentrieren, die vor ihm lag.
    Es hatte nicht den Anschein, als würde ihn jemand am Anleger erwarten, obgleich er seinen Besuch schriftlich angekündigt hatte. Seltsam. Er musste sich durchfragen.
    Als er schließlich in die dunkle Wohnstube des Frøynes
Gård trat, saßen die drei Knaben mit gesenkten Köpfen nebeneinander auf der Wandbank. Sie wagten es nicht, ihn anzusehen.
    Die Witwe Maren Kristine nahm verlegen in einem großen, mit Drachenornamenten verzierten geschnitzten Lehnstuhl Platz. Schweigend deutete sie auf einen gleichartigen Stuhl ihr gegenüber. Er hatte noch kein Wort gesagt und war auch nicht von ihr begrüßt worden. Es war gespenstisch.
    Christian kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Er fühlte sich wie in einem Albtraum, in dem er äußerst unwillkommen war. Es roch ganz leicht nach Vieh. Außerdem war die Witwe Maren Kristine – und es war natürlich äußerst unpassend, gerade jetzt daran zu denken – eine der schönsten Frauen, denen er je begegnet war. Sie war kaum älter als er selbst, wenn überhaupt. Sie trug ein schwarzes Kleid und ein schwarzes Kopftuch, aber ihr langes, kupferrotes Haar schaute unter dem schwarzen Stoff hervor. Sie betrachtete ihn ruhig, aber nicht freundlich mit ihren hellblauen Augen. Vor ihm auf dem Tisch stand ein kleiner Teller mit Plätzchen. An der Wand aus Holzbalken hingen kunstvoll gewebte Teppiche, wie er sie noch nie gesehen hatte. Er hätte sie gerne näher betrachtet, aber dafür war jetzt nicht der richtige Augenblick. Er musste so schnell wie möglich sein Anliegen vorbringen, da die Familie zu glauben schien, er
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