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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Guillou
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geschliffen. Der Vordersteven war beidseits mit einem geschnitzten verschlungenen Drachenornament verziert, das weitgehend fertig war. Für diesen Schmuck gab es kein bekanntes Vorbild, jedenfalls nicht das Gokstadschiff, dessen war sich Christian Cambell Andersen vollkommen sicher, das hätte er gewusst. Aber die Ornamentik sah vollkommen authentisch aus, künstlerisch vollendet.
    Die Ruderbänke lehnten an der Längswand des Schuppens, auch sie glatt abgeschliffen. Was für eine Schande, dass die Jungen die Arbeit nicht hatten vollenden können, ehe irgend so ein Idiot sie erwischt hatte!
    Schabernack? Verprügelt, entlassen und nach Hause geschickt!
    Das Empörendste war nicht, dass das grausam und unchristlich war, sondern die Einfältigkeit hinter der Bestrafung. Seiler waren keine Seeleute oder Bootsbauer, aber
den Sinn für ein schönes Schiff konnte man ja wohl durchaus von jedem Bergener erwarten. Nun, er würde das schon wieder in Ordnung bringen. Es fragte sich nur, wie. Darüber musste er nachdenken.
    Wie die meisten anderen Stadtbewohner begab er sich wenige Stunden später auf die große Stadtwiese, um sich die Mittsommerfeuer anzusehen, aber er war mit seinen Gedanken anderswo und ging recht früh, weil Regen in der Luft lag und er nicht nass in den Herrenclub kommen wollte. Er wollte an diesem Abend eine Partie Whist mit Halfdan Michelsen spielen, der so alt war wie er und bald den angesehensten Schiffbaubetrieb der Stadt übernehmen würde, sowie mit den Reedern Mowinckel und Dünner, die beide bedeutend älter waren als Christian und Halfdan, aber den Gedankenaustausch mit der jüngeren Generation, die bald alles übernehmen würde, als Vergnügen erachteten. Vorausgesetzt, es wurde nicht über Politik gesprochen.
    Christian spielte die ersten Partien lausig, und die anderen merkten, dass er unkonzentriert war, waren jedoch taktvoll und stellten keine Fragen. Vermutlich ging es um irgendeine Herzensangelegenheit, und über so etwas sprach man nicht in der Guten Absicht .
    Als sie jedoch anschließend beim Cognac mit Soda saßen und der Regen gegen die Bleiglasfenster prasselte, das Feuer im offenen Kamin knisterte und die englischen Ledersessel gemütlich knarrten, rückte er damit heraus, worüber er nachgrübelte.
    Er erzählte, dass einige Vorarbeiter der Seilerei drei Lehrlinge gefeuert und sie vorher mit Lederriemen verprügelt hätten, weil sie, man höre und staune, ein exakt maßstabgerechtes
und beinahe fertiges Modell des Gokstadschiffes gebaut hatten.
    Die anderen sahen ihn an, als sei er übergeschnappt.
    »Und wie alt waren die Lehrlinge?«, fragte Schiffsreeder Dünner vorsichtig.
    »Etwa elf Jahre alt, schätze ich«, antwortete Christian zögernd, denn er befürchtete, ausgelacht zu werden.
    Und ausgelacht wurde er. Die anderen konnten nicht an sich halten, entschuldigten sich aber rasch und fuchtelten abwehrend mit den Händen. Eine verlegene Stille trat ein.
    »Ich habe einen Vorschlag«, sagte Christian hartnäckig. »Ich wette, dass Sie, meine Herren, zum einen verblüfft sein und mir recht geben werden, wenn Sie das Meisterwerk sehen. Als Entschädigung für Ihr Misstrauen müssen Sie mir bis zum Jahreswechsel meinen Cognac Soda ausgeben. Sollten Sie nicht beeindruckt sein, geht der Cognac Soda für den Rest des Jahres natürlich auf mich!«
    Auf die angespannte Stimmung folgte ein Lachen, und man bestellte flugs eine Droschke von W. M. Bøschen in der Kong Oscars Gate. Bei diesem Wetter war an einen Spaziergang nicht zu denken, obwohl es zur Seilerei in Nordnes nicht allzu weit war.
    Eine halbe Stunde später, die Pferdedroschke wartete vor dem Gebäude, öffnete Christian die Torflügel des alten Schuppens. Er hielt zwei Petroleumlampen in der Hand, um Licht in das Mittsommerdunkel zu bringen. Die anderen schnappten erstaunt nach Luft, sie waren Schiffsleute und begriffen sofort, was sie vor sich hatten.
    Sie begannen eine eingehende Untersuchung des Schiffsmodells, wobei sie einander auf verschiedene Entdeckungen und Beobachtungen aufmerksam machten, beispielsweise
dass die Jungen keine Nägel verwendet, sondern die Planken allein mittels Holzdübeln befestigt hatten. Wie aber hatten sie diese Dübel ohne eine Drehbank hergestellt? Halfdan, der von Kindesbeinen an Bootsbauer war, untersuchte einen der Holzdübel genauer, nahm Hammer und Keil zur Hand, schlug ihn vorsichtig heraus und betrachtete ihn von allen Seiten, erst mit gerunzelter Stirn, dann mit einem breiten
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