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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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alles wider, was ich tat.
    Schließlich zog ich die nervösen, kopfwerfenden Stuten
zurück und sah das ebenso verstörte Paar auf der anderen
Seite des von Geröll freigeräumten Ovals das Gleiche tun.
Meine Hände zitterten. Auf meiner Stirn war kalter Schweiß
ausgebrochen. Ich spähte nach vorn, versuchte verzweifelt,
auszumachen, wo sich mein seltsamer Feind befand, aber über dem
Schein der Wagenlampen war nur ein ganz schwacher Umriß einer
Gestalt, und das Gesicht war völlig unsichtbar.
    Da war kein Spiegel, dessen war ich mir sicher (selbst diese
absurde Möglichkeit wäre in diesem Augenblick leichter zu
akzeptieren gewesen als etwas anderes), und außerdem waren die
Pferde mir gegenüber weiß, nicht dunkel wie das Paar, das
vor meinen Wagen gespannt war. Was sollte ich jetzt tun? Ich konnte
keinen anderen Weg über den Paß erkennen; die Steine und
Felsblöcke, die von diesem Pfad zur Seite geräumt waren,
bildeten links und rechts eine Mauer von halber Mannshöhe.
Selbst wenn es mir gelang, eine Lücke zu finden, würde das
rauhe, zerklüftete Terrain dahinter unpassierbar sein.
    Ich steckte die Peitsche weg und kletterte auf den steinigen Boden
hinab. Der andere Fahrer tat ebenso. Ich zögerte, als ich das
sah, und wieder überkam mich das Gefühl eines nicht zu
identifizierenden, aber heftigen Unbehagens. Beinahe
unwillkürlich drehte ich mich um und blickte zurück, vorbei
an dem zugezurrten Wagen, die Straße entlang, die vom Rand des
Plateaus bergab führte. Eine Umkehr kam nicht in Frage. Sogar
wenn ich weltliche Absichten verfolgt hätte, wenn ich ein
normaler Reisender gewesen wäre, der nur einen fernen Gasthof
oder eine Stadt auf der anderen Seite des Passes zu erreichen
trachtete, hätte es mir außerordentlich widerstrebt,
zurückzufahren. Von der Route, die ich von dem Bahnhof weit
unten im Tal aus eingeschlagen hatte, ging, soviel ich gesehen hatte,
kein Weg, kein Pfad ab, und ich wußte von keinem anderen
Paß, der innerhalb einer Tagesreise durch diese Berge
führte. In Anbetracht der Natur meiner Fracht und der
Dringlichkeit meiner Mission blieb mir keine Wahl, als den Weg, den
ich gewählt hatte, fortzusetzen. Ich tat, als wolle ich meinen
Kragen enger ziehen, und drückte dabei den verborgenen Revolver
gegen meine Brust. Während ich alle Kräfte sammelte,
während ich versuchte, in meinem Innersten die Reserven an
Vernunft und Mut zu mobilisieren, die noch zu finden sein mochten,
wäre es beinahe meiner Aufmerksamkeit entgangen, daß die
Gestalt, die im Schein der anderen Wagenlampen mir
gegenüberstand, meine Bewegungen imitierte und ebenfalls an
ihren Aufschlägen oder ihrem Kragen zog, bevor sie einen Schritt
vorwärts machte.
    Der Mann war ungefähr so wie ich gekleidet; tatsächlich
hätte jede andere Aufmachung in dieser eisigen Atmosphäre
einen schnellen Tod heraufbeschworen. Sein Mantel mochte ein
bißchen länger, sein Körper ein bißchen
untersetzter als meiner sein. Er und ich traten bis zu den bebenden
Köpfen unserer Pferde vor. Ich erinnerte mich nicht, daß
mein Herz schon einmal in meinem Leben so schnell und so heftig
geschlagen hatte wie jetzt. Eine Art von Entsetzen trieb mich weiter,
ließ mich auf diese immer noch nicht recht zu erkennende
Gestalt zugehen. Es war, als habe eine magnetische Abstoßung,
die zuvor unsere beiden Wagen daran gehindert hatte, aneinander
vorbeizufahren, sich jetzt umgekehrt und sauge mich unerbittlich
vorwärts, ziehe mich auf etwas zu, das ich, wie mein Herz mir
klarmachte, aufs äußerste fürchtete – oder
hätte fürchten sollen –, so wie manche Menschen von
einem Abgrund verlockt werden, an dessen Rand sie stehen.
    Er blieb stehen. Ich blieb stehen. Mich überflutete ein
Gefühl der Erleichterung, eine totale und unvermischte Freude,
als ich sah, daß dieser Mann nicht mein Gesicht trug. Sein
Gesicht war eckiger als meins, seine Augen standen dichter zusammen
und lagen tiefer in den Höhlen, und über seinem Mund hing
ein dunkler Schnurrbart. Er stand im Licht meiner Lampen wie ich im
Licht der seinen und musterte mein Gesicht mit dem gleichen Ausdruck
intensiver Erleichterung, wie ich ihn bestimmt zur Schau trug. Ich
wollte etwas sagen, kam aber nicht weiter als: »Mein
guter…«, bevor ich innehielt. Der Mann hatte zur gleichen
Zeit wie ich zu sprechen begonnen, irgendein Wort, einen kurzen Satz,
mit dem er mich anredete, wie ich soeben ihn hatte anreden wollen. Er
benutzte, dessen war ich jetzt sicher, eine fremde Sprache,
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