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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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unheimlichen Fracht und
er mit der seinen, zurück in die Täler und die Wolken.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    »… dann feuern wir beide gleichzeitig, oder zumindest
drücken wir beide gleichzeitig den Abzug, aber es passiert
nichts. Beide Geschosse sind Blindgänger. Also tun wir nichts
weiter, als uns… anzulächeln, irgendwie resigniert, nehme
ich an, und lenken die Wagen ganz herum, und dann fahren wir den Weg
zurück, den wir gekommen sind.« Ich verstumme.
    Dr. Joyce sieht mich über seine goldgerandete Brille hinweg
an. »Ist es das?« fragt er. Ich nicke.
    »Dann wache ich auf.«
    »Einfach so?« Es klingt verärgert. »Sonst
nichts?«
    »Ende des Traums«, versichere ich Dr. Joyce mit
Nachdruck.
    Dr. Joyce blickt zutiefst unüberzeugt drein (das kann ich ihm
wirklich nicht verübeln, es ist alles ein Haufen Lügen),
und sein Kopf schütteln mag durchaus eine Geste der Verzweiflung
bedeuten.
    Wir stehen in der Mitte eines Raums mit sechs schwarzen
Wänden und keinen Möbeln; es ist ein Racketshof, und wir
haben ein Spiel fast beendet. Dr. Joyce – in den
Fünfzigern, nicht gerade außer Kondition, aber ein
bißchen außer Puste – studiert seine Patienten, wo
er kann. Wir spielen beide Rackets, deshalb sind wir für ein
Match hergekommen, statt in seinem Büro zu sitzen. Ich habe ihm
meinen Traum in Raten zwischen den Points erzählt.
    Dr. Joyce ist ganz rosa und grau: graues Kraushaar, rosa Gesicht,
und aus seinen grauen Shorts und seinem grauen Hemd ragen grau-rosa
gesprenkelte Beine und Arme. Seine Augen hinter den goldumrandeten,
mit einer Kette gesicherten Gläsern sind jedoch blau, von einem
scharfen, harten Blau, und sie stecken in seinem rosa Gesicht wie
Glasstücke in einem Teller mit rohem Fleisch. Er atmet schwer
(ich nicht), perspiriert heftig (ich bin nur beim letzten Point in
Schweiß geraten) und sieht mich sehr mißtrauisch an (wie
ich schon sagte, aus gutem Grund).
    »Sie sind aufgewacht?« fragt er.
    Ich gebe mir Mühe, recht verärgert zu sprechen:
»Verdammt noch mal, Mann, ich habe doch keine Kontrolle
über das, was ich träume.« (Eine Lüge.)
    Der Doktor gibt ein professionelles Lachen von sich und benutzt
sein Fang-Racket, um den Ball aufzunehmen, den er am Ende des letzten
Points verfehlt hat. Er starrt ausdauernd die Aufschlagwand an.
»Sie haben den ersten Aufschlag, Orr«, stellt er kurz
fest.
    Ich serviere, gefolgt von dem Doktor. Für Rackets braucht man
zwei Spieler, die beide zwei Rackets haben, eins zum Fangen und eins
zum Schlagen. Es wird in einem sechseckigen, schwarzgestrichenen Hof
mit zwei rosa Bällen gespielt. Diese letzte Tatsache, Gegenstand
des groben Humors, der auf der Brücke als Witz gilt, hat
Schläger hervorgebracht, die als »Spiel des Mannes«
bekannt sind. Dr. Joyce kennt das Spiel besser als ich, aber er ist
kleiner, schwerer, älter und weniger gut koordiniert. Ich
übe mich erst seit sechs Monaten in Rackets (mein
Heilgymnastiker empfahl es mir), aber ich gewinne den Point –
und das Spiel – ohne große Mühe, indem ich den einen
Ball zurückschlage, während der Doktor mit dem anderen
herumfummelt. Er steht keuchend da, funkelt mich böse an, das
Musterbild rosafarbener Verstimmung. »Sind Sie sicher, daß da nicht mehr ist?« fragt er.
    »Positiv«, versichere ich ihm.
    Dr. Joyce ist mein Traumdoktor. Er ist auf die Analyse von
Träumen spezialisiert und glaubt, indem er meine analysiert,
wird es ihm gelingen, mehr über mich zu entdecken, als ich ihm
durch eine bewußte Anstrengung mitteilen kann (ich leide an
Amnesie). Alles benutzend, was er durch diese Methode finden mag,
hofft er, meinem pflichtvergessenen Gedächtnis dann irgendwie
auf die Sprünge helfen zu können: Hoppla! Mit einem
gewaltigen Satz der Vorstellungskraft werde ich frei sein. Ich habe
seit jetzt mehr als einem halben Jahr ehrlich mein Bestes getan, um
mit ihm in diesem edlen Unternehmen zu kooperieren, aber meine
Träume waren immer entweder so vage, daß ich keinen
exakten Bericht darüber erstatten konnte, oder so banal,
daß sie der Analyse nicht wert waren. Da ich den immer
frustrierteren Doktor nicht enttäuschen wollte, nahm ich am Ende
Zuflucht dazu, Träume zu erfinden. Ich hatte sehr gehofft, mein
Traum von den verschlossenen Wagen würde Dr. Joyce etwas bieten,
in das er seine gelb-grauen Zähne schlagen könnte, aber
sein eingeschnappter Blick und seine kriegerische Haltung erwecken
den Eindruck, dies sei nicht der Fall.
    Er sagt: »Danke für das
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