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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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eingehen.«
    »Oh. Ich dachte schon, vielleicht seien sie irgendeine
minimalistische radikale Theater-Gruppe. Vermute ich richtig,
daß sich Mr. Berkeley im Augenblick für einen Stuhl
hält?«
    Dr. Joyce runzelt die Stirn. »Seien Sie nicht dumm, Orr. Sie
würden doch nicht den einen Stuhl auf einen anderen stellen,
oder? Er muß meinen, er sei ein Kissen.«
    »Natürlich.« Ich nicke. »Wozu die
Polizeiwache?«
    »Oh, es kann ein bißchen heikel werden. Hin und wieder
hält er sich für ein Bidet in einer Damen-Toilette.
Normalerweise wird er nicht gewalttätig, nur…« Dr.
Joyce richtet den leeren Blick kurz auf die pastellrosa Decke seines
Büros. Er sucht nach dem richtigen Wort, findet es: »…
hartnäckig.« Dann beschäftigt er sich wieder mit der
Liste.
    Ich lehne mich zurück. Dr. Joyces Sprechzimmer hat einen
Teakholzboden, hie und da mit zartfarbigen Teppichen in banalen
abstrakten Mustern bedeckt. Zu dem imposanten Schreibtisch passen ein
Aktenschrank und eine Reihe mit Bänden vollgestopfter
Bücherschränke. Um einen niedrigen Tisch gruppieren sich
geschmackvoll-neutrale Sessel; auf einem davon sitze ich. Die
Hälfte der einen Wand im Chefzimmer des Doktors ist ein Fenster,
aber die Aussicht ist hinter Springrollos verborgen. Da sie
durchscheinend sind, glühen sie im Licht der Morgensonne und
übernehmen die Beleuchtung.
    Der Doktor knüllt das sauber getippte Blatt zusammen und
wirft es in seinen Papierkorb. Er zieht seinen Sessel hinter dem
Schreibtisch hervor und stellt ihn so, daß wir uns
gegenübersitzen. Er nimmt ein Notizbuch von der
Schreibtischplatte und legt es sich auf den Schoß. Dann
entfernt er einen kleinen silbernen Drehbleistift von der Brusttasche
seines Jacketts.
    »Gut, Orr, wo waren wir stehengeblieben?«
    »Ich glaube, Ihre letzte angeblich konstruktive Bemerkung
war, die Brücke könne ein Traum sein.«
    Dr. Joyces Mundwinkel senken sich. »Wie könnten Sie es
erkennen, wenn sie das nicht wäre?«
    »Wie könnte ich erkennen, wenn dies kein Traum
wäre?«
    Der Doktor lehnt sich zurück, einen wissenden Ausdruck auf
dem Gesicht. »Richtig.«
    »Ja, und woher wissen Sie, daß es kein Traum ist,
Doktor?« Ich lächele. Der Doktor zuckt die Achseln.
    »Es hat keinen Sinn, mich zu fragen; ich wäre doch
Bestandteil des Traums.« Er beugt sich auf seinem Sessel vor.
Ich tue das Gleiche, so daß wir beinahe Nase an Nase sitzen.
»Was bedeutet der verschlossene Wagen?« fragt er.
    »Ich vermute, er zeigt, daß ich mich vor irgend etwas
fürchte«, fauche ich.
    »Ja, aber wovor?« zischt der Doktor aus
nächster Nähe.
    »Ich gebe auf; sagen Sie es mir!«
    Wir verharren noch ein paar Sekunden länger Augapfel in
Augapfel. Dann bricht der Doktor den Kontakt ab, richtet sich auf und
gibt ein seufzendes Geräusch von sich, als entweiche Luft aus
einem Kunstledersessel. Er macht sich ein paar Notizen.
    »Wie kommen Sie mit Ihren Nachforschungen voran?«
erkundigte er sich sachlich.
    Eine Falle witternd, beobachte ich ihn mit zusammengekniffenen
Augen.
    »Was für Nachforschungen?« frage ich.
    »Bevor Sie die Klinik verließen und bis vor kurzer Zeit
pflegten Sie mir immer von den Nachforschungen zu erzählen, die
Sie anstellten. Sie sagten, Sie versuchten, Dinge über die
Brücke herauszufinden. Zu der Zeit schien Ihnen das sehr wichtig
zu sein.«
    Ich setze mich gerade hin. »Ich habe tatsächlich
versucht, einiges herauszufinden. Aber…«
    »Aber Sie haben aufgegeben.« Der gute Doktor nickt,
macht sich Notizen.
    »Ich habe es versucht. Ich habe an sämtliche Büros
und Ämter und Abteilungen und Bibliotheken und Zeitungen, die
ich finden konnte, Briefe geschrieben. Ich habe bis tief in die Nacht
aufgesessen und Briefe geschrieben, ich habe Wochen mit dem
Herumsitzen in Vorzimmern und Wartezimmern und Rezeptionen und
Korridoren verbracht. Am Ende hatte ich einen Schreibkrampf, einen
schlimmen Schnupfen und eine Vorladung, vor dem ›Komitee
für die Untersuchung von Mißbrauch der
Unterhaltsbeihilfen, die externen Klinik-Patienten gezahlt
werden‹, zu erscheinen; man konnte dort nicht glauben, daß
ich einen solchen Betrag für Briefmarken ausgegeben
habe.«
    »Was haben Sie entdeckt?« Dr. Joyce amüsiert
sich.
    »Daß es keinen Zweck hat, zu versuchen, etwas über
die Brücke zu entdecken, das der Mühe wert ist.«
    »Was nennen Sie ›der Mühe wert‹?«
    »Wo ist sie? Was verbindet sie? Wie alt ist sie? Derlei
Dinge.«
    »Kein Glück gehabt?«
    »Ich glaube nicht, daß Glück
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