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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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viel damit zu tun
hatte. Ich glaube, daß niemand es weiß und daß es
niemanden interessiert. Meine Briefe sind teils verschwunden, teils
wurden sie zurückgesandt, entweder ungeöffnet oder mit
beigefügten Antworten in Sprachen, die ich nicht verstehe und
die auch sonst niemand, mit dem ich Verbindung aufnehmen konnte, zu
ergründen fähig war.«
    »Nun…« – der Doktor macht eine Handbewegung,
als gleiche er eine Waage aus – »Sie haben ja
tatsächlich Probleme mit Sprachen, nicht wahr?«
    Ich habe Probleme mit Sprachen, in der Tat. In einem einzigen
Abschnitt der Brücke gibt es bis zu einem Dutzend Sprachen,
Spezialisten-Jargons, die ihren Ursprung in den verschiedenen
Berufsgruppen haben und im Laufe der Jahre entwickelt und
ergänzt, verändert und verfeinert worden sind. Der Punkt
gegenseitiger Unverständlichkeit ist schon vor so langer Zeit
erreicht worden, daß niemand sich mehr erinnert, daß der
Prozeß überhaupt stattgefunden hat oder daß es eine
Zeit gab, in dem er noch nicht begonnen hatte. Ich selbst, so wurde
festgestellt, als ich aus dem Koma erwachte, spreche die Sprache des
Stabes und der Administratoren, die offizielle, zeremonielle Sprache
der Brücke. Aber während jeder andere mindestens eine
weitere Sprache beherrscht, für gewöhnlich in Verbindung
mit seiner Arbeit oder Stellung, tue ich das nicht. Wenn ich mich
inmitten der hastenden Menschen befinde, die die
Hauptverkehrsstraßen der Brücke bevölkern, ist mir
mehr als die Hälfte der um mich herum stattfindenden
Unterhaltungen unverständlich. Ich finde diesen
Überfluß an Sprachen nur ärgerlich, aber ich kann mir
vorstellen, daß er den paranoideren Patienten des Doktors wie
eine Verschwörung vorkommt.
    »Es ist ja nicht nur das. Ich habe nach Aufzeichnungen
über den Bau der Brücke und ihren ursprünglichen Zweck
gesucht. Ich habe mich nach alten Büchern, Zeitungen,
Zeitschriften, Akten, Filmen umgesehen, nach allem, was auf
irgendeinen Ort außerhalb der Brücke oder vor der
Brücke oder abseits der Brücke Bezug nimmt. Es gibt nichts.
Es ist alles fort. Verloren, gestohlen, vernichtet oder nur falsch
abgelegt. Wissen Sie, daß man es allein in diesem Abschnitt
fertiggebracht hat, eine ganze Bibliothek zu verlieren? Eine
Bibliothek! Wie, zum Teufel, verliert man eine Bibliothek?«
    Dr. Joyce zuckt die Achseln. »Nun, Leser verlieren
Bibliotheksbücher…«, beginnt er in vernünftigem
Ton.
    »Oh, um Himmels willen, Mann! Eine ganze Bibliothek? Sie
enthielt zehntausende von Büchern – das habe ich
festgestellt. Richtige Bücher und gebundene Journale und
Dokumente und Landkarten und…« Mir kommt zu
Bewußtsein, daß ich die Fassung verliere. »Die
Dritte Bibliothek für Archivmaterial der City und historisches
Material, vermißt, vermutlich für immer verloren; sie wird
als in diesem Abschnitt der Brücke liegend aufgeführt, es
gibt zahllose Hinweise auf sie und Hinweise auf die Bücher und
Dokumente, die sie enthielt, und sogar Memoiren von Wissenschaftlern,
die sie zu Studienzwecken besucht haben. Aber niemand kann sie
finden, niemand hat je von ihr außer durch diese Hinweise
gehört. Man sucht nicht einmal besonders eifrig nach ihr.
Mein Gott, man sollte meinen, es würden Suchtrupps aus
Bibliothekaren und Bibliophilen ausgesandt oder etwas in der Art.
Merken Sie sich den Namen, Doktor; rufen Sie mich an, wenn Sie
irgendwann darauf stoßen.« Ich lehne mich zurück,
schlage die Arme übereinander. Der Doktor macht sich noch ein
paar Notizen.
    »Haben Sie das Gefühl, daß alle diese
Informationen, die Sie suchen, absichtlich vor Ihnen versteckt werden
oder versteckt worden sind?« Er hebt fragend eine
Augenbraue.
    »Nun, das würde mir wenigstens etwas geben, wogegen ich
ankämpfen könnte. Nein, ich glaube nicht, daß
irgendwelche Bosheit hinter dem allen steckt. Das ist nichts als
Schlamperei, Unfähigkeit, Apathie und Inkompetenz. Dagegen kann
man nicht ankämpfen. Es ist, als versuche man, gegen Nebel zu
boxen.«
    »Nun denn…« – der Doktor lächelt
gletscherhaft mit Augen wie Eis, das vor Alter blau geworden ist
–, »was haben Sie also entdeckt? An welcher Stelle haben
Sie aufgehört, aufgegeben?«
    »Ich habe entdeckt, daß die Brücke sehr groß
ist, Doktor«, berichte ich ihm. Groß und ziemlich lang;
sie verschwindet in beiden Richtungen über den Horizont. Ich
habe auf einem kleinen Funkturm auf einem ihrer großen Bogen
gestanden und gut zwei Dutzend weitere rotgestrichene Bogen
gezählt, die in
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