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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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Spiel.«
    »War mir ein Vergnügen.« Ich lächle.
     
    Im Duschraum landet Dr. Joyce einen Schlag unter der
Gürtellinie.
    »Ihre… äh… Libido, Orr. Ganz normal?« Er
seift sich die Wampe ein; ich reibe schaumige Kreise auf meiner
Brust.
    »Ja, Doktor. Wie ist Ihre?« Der gute Doktor wendet den
Blick ab.
    »Ich habe in beruflicher Eigenschaft gefragt«,
erklärt er. »Wir glaubten nur, da könne es Probleme
geben. Wenn Sie sicher sind…« Seine Stimme erstirbt, und er
tritt unter den Wasserstrahl, um sich abzuspülen.
    Was will der gute Doktor denn? Empfehlungsschreiben?
     
    Geduscht und umgezogen und nach einem Abstecher in die Bar des
Rackets-Clubs nehmen wir einen Aufzug zu der Ebene, wo Dr. Joyces
Praxisräume liegen. Der graue Anzug mit der rosa Krawatte
paßt besser zu ihm, aber schwitzen tut er immer noch. Ich
fühle mich erfrischt und kühl in Hose, Seidenhemd, Weste
und Gehrock (den ich im Augenblick über dem Arm trage). Der
Aufzug – Polsterklasse: Ledersitze, Kübelpflanzen –
summt nach oben. Dr. Joyce setzt sich auf eine Bank an der Wand, in
der Nähe des Fahrstuhlführers, der eine Zeitung liest. Der
Doktor zieht ein leicht dunkelweißes Taschentuch hervor und
wischt sich die Stirn.
    »Was hat dieser Traum Ihrer Meinung nach denn zu bedeuten,
Orr?«
    Ich sehe den zeitunglesenden Fahrstuhlführer an. Wir drei
sind die einzigen Leute im Aufzug, aber ich hätte gedacht,
daß schon die Anwesenheit eines Liftboys genügen
würde, um etwas zu verhindern, das ich für einen
vertraulichen Gedankenaustausch gehalten habe. Aus diesem Grund sind
wir doch zu der Praxis des guten Doktors unterwegs. Ich lasse meinen
Blick über die Holztäfelung des Aufzugs, die
Ledermöbel und die ziemlich einfallslosen Drucke von
Seestücken wandern (und komme zu dem Schluß, daß ich
Aufzüge mit Blick ins Freie vorziehe).
    »Ich habe keine Ahnung«, sage ich. Früher glaubte
ich einmal, meine Träume bedeuteten genau das, was Dr. Joyce mir
darüber sagen würde, aber der gute Doktor belehrte mich
schon vor einiger Zeit eines Besseren. Damals bemühte ich mich
noch, Träume zu haben, die bedeutungsvoll genug waren, daß
er sich über sie hermachen konnte.
    »Das ist es ja gerade«, meint Dr. Joyce müde.
»Wahrscheinlich wissen Sie es doch.«
    »Ich will es Ihnen nur nicht sagen?« vermute ich.
    Dr. Joyce schüttelt den Kopf. »Nein, wahrscheinlich können Sie es mir nicht sagen.«
    »Weshalb fragen Sie dann?«
    Der Aufzug kommt langsam zum Halten. Die Praxis des Doktors
befindet sich etwa in der Mite der oberen Hälfte der
Brücke, gleich weit von dem immer in Dampf gehüllten
Zugdeck und einem der oft wolkenverhangenen Bögen des
großen Bauwerks entfernt. Seine Räume liegen als die eines
Mannes von nicht geringem Einfluß an der Außenseite des
Hauptgebäudes und haben den vielbegehrten Blick aufs Meer
hinaus. Wir warten, daß die Türen sich öffnen.
    »Sie müssen sich selbst fragen, Orr«, sagt Dr.
Joyce, »was diese Art von Traum in Beziehung zu der Brücke bedeutet.«
    Ich sehe ihn an. »Zu der Brücke?«
    »Ja.« Er nickt.
    »Da komme ich nicht mehr mit«, sage ich. »Ich
erkenne keine mögliche Verbindung zwischen der Brücke und
meinem Traum.«
    Wieder ein ärztliches Achselzucken. »Vielleicht ist der
Traum eine Brücke«, überlegt er. Die Innentüren
gleiten zurück. Er zieht seinen Reisepaß hervor und zeigt
ihn dem Fahrstuhlführer. »Vielleicht ist die Brücke
ein Traum.«
    (Also, das ist eine große Hilfe.) Ich zeige dem
Fahrstuhlführer mein Klinik-Identitätsarmband. Dann folge
ich dem guten Doktor einen breiten, teppichbelegten Korridor entlang
zu seiner Praxis.
    In den Plastikstreifen an meinem rechten Handgelenk, dem
Identitätsarmband, ist ein elektronisches Gerät
eingebettet, das meinen Namen und Wohnsitz gespeichert hat. Es nennt
die Art meines Leidens, die Behandlung, der ich mich unterziehe, und
den Namen meines Arztes. Auf den Plastikstreifen ist mein Name
gedruckt: John Orr. Das ist nicht mein richtiger Name; es ist der
Name, den mir die Klinikbehörde der Brücke gegeben hat, als
ich hier ankam. »John«, weil es ein üblicher,
harmloser Name ist, »Orr«, weil sich auf meiner Brust, als
ich aus dem Wasser gefischt wurde, das um einen der großen
granitenen Pfeiler der Brücke strudelt, eine große,
verfärbte runde Quetschung befand, ein fast perfekter Kreis, der
mir auf das Fleisch gestempelt war (und auf die Knochen darunter; ich
hatte sechs gebrochene Rippen). Sie sah wie ein O aus.
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