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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee
Autoren: Jan Seghers
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Musik angenehme Erinnerungen. Rudolf begrüßte sie so überschwänglich, wie Wirte es häufig tun, stellte ihr unaufgefordert eine Dose Cola light auf den Tresen und empfahl ihr das Tagesmenü: Hähnchenschenkel mit Erdnusssoße und gegrillten Lauchzwiebeln. Gabriele Hasler merkte, wie ihre Anspannung nachließ. Während sie sich hungrig über die kleine Mahlzeit hermachte, hörte sie dem gut gelaunten Geplauder des Imbissbetreibers zu und überlegte, ob sie für die Fahrt nach Oberrad wie üblich die Straßenbahn nehmen oder sich heute ausnahmsweise ein Taxi gönnen sollte. Sie entschied sich für das Taxi. Wie jedes Mal, wenn sie bei ihm aß, lobte sie Rudolfs Kochkünste, während er ihr Komplimente wegen ihres Aussehens machte, was sie sich heute besonders gern gefallen ließ.
    Als sie den kleinen Verschlag der Imbissbude verließ, begann sie zu frieren. Und fast augenblicklich war auch ihre Nervosität wieder da. Sie schaute sich um, als könne von einem der Passanten eine Bedrohung ausgehen, aber sie entdecktenur eine Mutter mit ihrem Kinderwagen, zwei alte Damen, die mit großen Papiertüten von ihren Einkäufen zurückkehrten, und einige junge Männer, die um ein Auto mit offener Motorhaube herumstanden und debattierten.
    Sie lief die Friedberger Landstraße hinunter und hielt Ausschau nach einem Taxi. Inzwischen begann es bereits zu dämmern, und die Autofahrer schalteten die Scheinwerfer ein. Sie mochte diese Jahreszeit nicht, sie mochte dieses Wetter nicht, und sie merkte, dass sie auch sich selbst immer weniger mochte. Nicht einmal auf ihren morgigen Geburtstag freute sie sich. Und dass Holger angekündigt hatte, in aller Frühe in Köln loszufahren, um zum gemeinsamen Frühstück bei ihr zu sein, verbesserte ihre Stimmung keineswegs. Doch statt sich endlich von ihm zu trennen, wie sie es insgeheim schon mehrmals vorgehabt hatte, war sie noch im Frühjahr auf seinen Vorschlag eingegangen und hatte einer offiziellen Verlobungsfeier mit seinen Eltern und einigen wenigen Verwandten zugestimmt. Ihr zu Ehren, und um ihr die Umstände der Fahrt zu ersparen, waren alle aus dem Rheinland angereist. Sie hatten sich auf einem Parkplatz am Frankfurter Hauptbahnhof getroffen und waren schließlich in einem kleinen Konvoi zum Gut Neuhof gefahren, einem beliebten und nicht gerade preiswerten Ausflugslokal fünfzehn Kilometer südlich der Stadt. Holgers Vater hatte sich die meiste Zeit hinter seinem Camcorder verschanzt, seine Mutter hatte Gabriele immer wieder bestätigt, wie stolz sie auf ihre künftige Schwiegertochter seien, und am Abend waren alle froh, die Sache mit Anstand hinter sich gebracht zu haben. Einen Moment lang hatte ihr die Vorstellung, nun eine richtige Braut zu sein, sogar geschmeichelt. Aber schon am nächsten Tag, als sie allein war, kam ihr das alles wieder so fremd vor wie damals, als Holger das erste Mal von einer Verlobung gesprochen hatte.
    Sie hatte sich immer einen Mann gewünscht, der ihr ebenbürtig, der ihr weder über- noch unterlegen war. Es gab keinen Grund, Holger nicht zu mögen, und das war es, was ihr die Trennung so schwer machte. Er war der freundlichste und rücksichtsvollste Mann, mit dem sie bislang zusammen gewesen war. Am Anfang hatte ihr das gut getan. Aber er war ihr nicht gewachsen. Bei jedem Konflikt gab er am Ende nach. Wenn es darauf ankäme, würde er ihr wie ein geprügelter Hund nachlaufen. Und notfalls, da war sie sicher, würde er sich in sie verbeißen.
    Gabriele Hasler wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Radler sie im Vorüberfahren streifte. Erschrocken zuckte sie zusammen. Sie fluchte. Ein paar Meter weiter hielt der Radfahrer an und blickte sich nach ihr um. Sie machte sich auf einen Streit gefasst. Stattdessen lächelte der junge Mann unsicher und entschuldigte sich bei ihr.
    Sie bog nach rechts in eine Seitenstraße. Am Scheffeleck hatte sie endlich Glück. Vor dem Maingau-Krankenhaus stand ein Taxifahrer neben seinem Wagen und rauchte. Der Mann schaute sie an. Dann kam er um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür. Obwohl sie eigentlich lieber auf der Rückbank saß, stieg sie einfach ein.
    «Nach Oberrad», sagte sie.
    Als sie losfuhren, bemerkte Gabriele Hasler, dass ganz in der Nähe ein weiteres Fahrzeug startete. Sie drehte sich um und entdeckte einen dunkelblauen BMW, der sich hinter ihnen in den Feierabendverkehr einfädelte. Sie klappte die Sonnenblende herunter und begann sich die Lippen zu schminken. Im Spiegel sah sie, dass der BMW
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