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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee
Autoren: Jan Seghers
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wenn man sie verhaftet.»
    «Bringen Sie uns jetzt wieder nach Hause?»
    «Ja», sagte Marthaler. «Aber nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr mich bald einmal wieder besucht. Und wenn ihr Mara mitbringt. Und nur, wenn ich dann eine Probefahrt auf deinem roten Rennrad machen darf.»
    Tobi nickte. Marthaler warf ihm den Autoschlüssel zu. «Dann nimm jetzt das Vorderrad raus und pack dein Schmuckstück in den Kofferraum.»
    Tobis Großvater hatte seinen Mantel bereits angezogen und saß im Wohnzimmer auf einem Sessel.
    «Danke», sagte er mit heiserer Stimme. «Danke, dass wir bei Ihnen sein durften.»
    «Wie geht es Ihnen?», fragte Marthaler.
    Der alte Mann versuchte ein Lächeln. «Ich weiß, dass Sie keine Lügen hören wollen», sagte er nur.
     
    Marthaler hatte seine beiden Gäste im Gallus abgesetzt und war dann nach Bockenheim gefahren. Vor der «Hotel-PensionUhland» stellte er den Wagen ab. Als er die Besitzerin hinter dem Tresen sitzen sah, fiel ihm etwas ein. Er zog das Bild, das ihm Stefanie Wolfram gegeben hatte, aus seiner Manteltasche. «Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen schon mal ein Foto gezeigt habe?»
    «Ja», sagte sie, «von der Zahnärztin.»
    «Was ist hiermit? Erkennen Sie diese Frau?»
    Sie nahm ihm die Aufnahme aus der Hand.
    «Ja», sagte sie. «Natürlich. Sie war früher öfter mit irgendeinem Kerl hier. Sie ging wohl anschaffen. Ich habe sie Mireille genannt, wegen ihrer Frisur. Wie Mireille Mathieu, die französische Sängerin. Können Sie sich an die erinnern?»
    «Ja», sagte Marthaler, «aber diese Mireille hier trägt eine Perücke und heißt Gabriele Hasler. Es ist dieselbe Zahnärztin, die Sie auf dem anderen Foto nicht erkannt haben.»
    Er wartete auf eine Reaktion, aber die Pensionsbesitzerin wirkte nicht sonderlich erstaunt.
    «Was ist?», fragte er. «Wundert Sie das gar nicht?»
    «Nein», sagte die Frau. «Verwundert bin ich nur, wenn mich mal jemand nicht enttäuscht.»
    Marthaler musste lachen. «Vielleicht ist das ein gutes Rezept», sagte er. «Vielleicht bricht einem dann das Herz nicht so schnell.»
    «Ja», sagte sie, «aber bis man das kapiert hat, ist es meist schon ein paarmal gebrochen.»
    «Oje», rief Tereza, die jetzt die Treppe herunterkam, «ihr habt ja eine lustige Thema.»
    «Komm», sagte Marthaler, «lass uns gehen. Ich muss rasch eine Kleinigkeit essen.»
    Sie fuhren in eine der alten Bornheimer Apfelweinwirtschaften auf der oberen Berger Straße. Marthaler merkte, dass es ihm schwer fiel abzuschalten. Dieser Fall würde ihn nochlange beschäftigen. Schweigend aß er seine Grüne Soße. Als auch Tereza aufgegessen hatte, schlug er vor, endlich ihren Spaziergang auf dem Lohrberg nachzuholen.
    «Was ist mit dir?», fragte Tereza, als sie über den verschneiten Weg liefen, «du bist heute so verdrückt.»
    Diesmal lachte er nicht über ihre Formulierung.
    «Ja, das kann sein», sagte er. «Mir geht so vieles durch den Kopf. Es gibt so viele Männer und Frauen, die sich das Leben zur Hölle machen. Vielleicht liegt es daran, dass ich verdrückt bin. Vielleicht brauche ich auch nur Urlaub und ein bisschen Sonne.»
    «Es wird bald Frühjahr werden», sagte Tereza. «Du musst dich nicht fürchten. Wir sind jung genug, um es besser zu machen.»
    «Ja. Aber ganz jung sind auch wir nicht mehr. Und es stimmt: Manch Weg ist uns verschneit.»
    «Was meinst du damit?»
    «Es fiel mir nur gerade ein: eine Zeile aus einem alten Lied.»
    Tereza sah ihn mit ernsten Augen an. Dann hob sie ihre Hand und fuhr mit den Fingerspitzen über seine Wange. «Aber der Schnee wird schmelzen», sagte sie.
    Marthaler wischte sich mit der Handfläche übers Gesicht, als wolle er die dunklen Gedanken vertreiben. Dann lachte er. «Ja, du hast Recht. Der Schnee wird schmelzen», sagte er.
    Sie standen noch eine Weile und schauten über die Lichter der Stadt, die unter ihnen in der Dunkelheit lag.
    Dann hakte Tereza sich bei ihm unter. «Komm», sagte sie, «es wird kalt, lass uns nach Hause gehen.»
    Als sie den steilen Weg bergab liefen, rutschte Tereza auf der fest getrampelten Schneefläche aus. Marthaler versuchte sie zu halten, aber als er sie am Ärmel fassen wollte, geriet auch er ins Straucheln. Im Fallen umarmten sie sich. Und rollten lachend den schneebedeckten Abhang hinunter.

 
    Mein Dank gilt: Eva-Marie v. H. für Vertrauen und Unermüdlichkeit. Ulrich P. für den richtigen Riecher. Silke und Jürgen K. für Treue, Füchsel und Ziallerns. Jürgen W. für allzeit offene
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