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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee
Autoren: Jan Seghers
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zusammenarbeitete. Er mochte die besonnene Art des jungen Kollegen, der wenig sprach und auch in turbulenten Situationen die Übersicht behielt. Liebmann hatte oft bewiesen, dass er sich von Marthalers aufbrausendem Temperament nicht beeindrucken ließ.
    «Gut. Dann machen wir uns an die Arbeit. Ich schlage vor, wir treffen uns nach dem Mittagessen wieder.»
    Elvira wartete, bis alle außer Marthaler den Raum verlassen hatten. «Robert, du denkst daran, dass Tereza heute zurückkommt. Du wolltest sie vom Flughafen abholen. Ich sollte dich daran erinnern.»
    Marthaler sah seine Sekretärin an. Dann lächelte er.
    «Ja», sagte er. «Daran denke ich ganz bestimmt.»

DREI
    Schweigend fuhren sie durch die Stadt. Während Sven Liebmann den grauen Daimler lenkte, saß Marthaler auf dem Beifahrersitz, schaute aus dem Fenster und versuchte, nicht daran zu denken, was sie am Tatort erwartete. Aber wie immer, wenn sie an den Schauplatz eines Verbrechens gerufen wurden, konnte er seine Unruhe kaum unterdrücken.
    Die Stadt war grau. Die Kälte der letzten Tage kündigte bereits den Winter an. Die Bewegungen der Fußgänger wirkten wie eingefroren, und die Kinder in ihren dicken Mänteln sahen aus wie steife Teddybären. Marthaler sehnte sich in den Süden. Sein letzter längerer Urlaub war fast anderthalb Jahre her. Damals hatte er sich kurz nach Ostern mit Tereza in dem kleinen Ort Tina Mayor an der spanischen Atlantikküste getroffen. Zwei Wochen lang hatten sie in dem winzigen Häuschen des ehemaligen Strandwärters gewohnt. Obwohl es kalt gewesen war und oft geregnet hatte, erinnerte sich Marthaler noch immer gerne an diese Tage. Die Stimmung zwischen ihnen war entspannt gewesen. Morgens hatten sie lange im Bett gelegen, waren anschließend in die kleine Bar im Dorf gegangen, um zu frühstücken, und abends hatten sie gemeinsam gekocht und hinterher mit einer Flasche Rotwein am Kamin gesessen. Zweimal noch hatte ihn Tereza danach in Frankfurt für ein verlängertes Wochenende besucht. Beide Male hatte Marthaler gespürt, dass der große Abstand ihnen nicht gut tat. Die Tage, die sie miteinander verbringen konnten, waren zu kurz, als dass sie ihre Befangenheit hätten überwinden können.
    Drei Jahre war es her, dass sie sich im Lesecafé kennengelernt hatten. Tereza war gerade aus Prag nach Frankfurt gekommen. Sie hatte kurz bei ihm gewohnt, war dann aber nach Madrid gegangen, wo sie deutschen Kunstreisenden die Stadt zeigen und ihre Studien im Prado fortsetzen wollte. Sie hatten kaum eine Chance gehabt, miteinander vertraut zu werden. Umso mehr freute sich Marthaler, dass Tereza heute zurückkam. Sie hatte eine Stelle als freie Mitarbeiterin im Städelmuseum angenommen, wo sie für die Organisation von Ausstellungen zuständig sein würde. Schon morgen würde sie mit ihrer Arbeit dort beginnen.
    Sven Liebmann steuerte den Wagen über die Alte Brücke. Kurz nachdem sie den Main überquert hatten, kamen sie durch Alt-Sachsenhausen, jenes Gaststättenviertel, das im Sommer und an den Wochenenden überschwemmt wurde von Touristengruppen, allesamt auf der Suche nach der berühmten Apfelwein-Folklore. Niemand sagte ihnen, dass die Frankfurter das Viertel längst mieden.
    Marthalers Anspannung wuchs. Sie fuhren unter der Eisenbahnbrücke hindurch und bogen nach links in die Offenbacher Landstraße. Kurz bevor sie Oberrad erreichten, begann es zu schneien. «Auch das noch», sagte Sven Liebmann. Marthaler schaute stumm aus dem Fenster.
    In der Ortsmitte mussten sie noch einmal anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Sie kamen durch eine abschüssige schmale Straße; dann hörte die Bebauung auf, und vor ihnen lagen die Felder einer Großgärtnerei. Schon von weitem sahen sie das einzeln stehende Haus. Es war ein altes Gebäude aus gelbrotem Backstein. Davor stand ein Kleinbus der Spurensicherung. In der Zufahrtsstraße parkte ein leerer Streifenwagen und versperrte ihnen den Weg. Sven Liebmann wollte hupen, aber Marthaler hielt ihn davon ab. «Lass», sagte er. «Wir gehen zu Fuß.»
    Das gesamte Grundstück war bereits mit rot-weißem Plastikbandgesichert. Neben dem Haus stand ein hölzerner Schuppen, dessen Wände überwuchert waren von Gestrüpp. Dahinter ein überdachter Abstellplatz voller Gerümpel. Außerhalb der Absperrung patrouillierten uniformierte Polizisten. Trotz des schlechten Wetters hatten sich die ersten neugierigen Passanten bereits eingefunden. Marthaler und Liebmann wurden durchgewinkt. Vor der Einfahrt blieben
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