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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee
Autoren: Jan Seghers
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Rente. Und manchmal schlossen sie wohl auch neue Bekanntschaften. Niemals aber schienen sie ihre Hüte abzunehmen.
    Marthaler mochte das sanfte Geplätscher der belanglosen Gespräche. Er hörte gerne dem leisen Geklapper der Bestecke und dem Klirren des Geschirrs zu. Und es besänftigte ihn, inmitten von Leuten zu sitzen, denen jeder Ehrgeiz und der größte Teil ihrer Eitelkeit längst vergangen war. Vielleicht, dachte er, fühle ich mich deshalb hier wohl, weil ich selbst langsam älter werde. Und dieser Gedanke beunruhigte den Hauptkommissar nicht im Geringsten.
    Er hängte seine Jacke an die Garderobe, suchte sich einen freien Tisch, bestellte eine Tasse Tee und ein Käsebrötchen und bat die Serviererin, ihm außerdem eine Schachtel Mentholzigaretten zu bringen. Er blätterte eine Tageszeitung durch und brauchte eine Weile, bis er merkte, dass sie bereits zwei Wochen alt war. Die Rentner, so schien es, legten auf Neuigkeiten keinen großen Wert. Als er sich gerade eine Zigaretteangesteckt hatte, klingelte sein Mobiltelefon. Es war seine Sekretärin.
    «Elvira, was gibt’s?»
    «Ich fürchte, du musst die Bruchbude doch nochmal betreten», sagte sie.
    «Nein!»
    «Doch, Robert. In Oberrad ist die Leiche einer Frau gefunden worden. Es sieht nach einem Tötungsdelikt aus. In fünf Minuten ist Einsatzbesprechung.»
     
    Marthaler betrat den Konferenzraum und schaute sich um. Bevor er sich noch hinsetzen konnte, herrschte Herrmann ihn an: «Wo kommen Sie jetzt her?»
    «Vom Kaffeetrinken», antwortete Marthaler.
    Der Leiter der Mordkommission schluckte trocken. Eine Erwiderung schien ihm nicht einzufallen. Auf eine ehrliche Antwort war er wohl nicht gefasst gewesen. Mit dem Mittelfinger schob Herrmann seine neue randlose Brille zurecht. Es war dasselbe Modell, das auch der Polizeipräsident seit ein paar Wochen trug.
    Herrmann räusperte sich. Dann begann er mit den Händen zu flattern. «Wie auch immer», sagte er, «Sie übernehmen bitte den Fall. Ich habe eine dringende Besprechung.»
    Er war schon fast aus der Tür, als Marthaler ihn noch einmal zurückrief.
    «Wir müssen hier raus», sagte er so ruhig wie möglich. Er wusste, wie leicht sich jede seiner Begegnungen mit Herrmann zu einem Krach entwickeln konnte. Mit den Jahren hatten sich Marthalers Vorbehalte gegen seinen Chef zu einer stabilen Abneigung ausgewachsen.
    Herrmann sah ihn verständnislos an. «Was heißt das: Wir müssen hier raus?»
    «Das heißt, was es heißt. Dass wir unsere Büros hier verlassenwerden. Dass wir hier nicht arbeiten können. Dass Sie sich Gedanken machen müssen.»
    Herrmanns Blick blieb leer. Dann nickte er.
    «Verstehe», sagte er, «verstehe.» Er verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.
    Marthaler wandte sich an Elvira: «Also, sag uns, was passiert ist.»
    «Das 8.   Polizeirevier hat angerufen. Heute Morgen ist ein Mann zu ihnen gekommen und hat einen Leichenfund in der Nähe eines einzeln stehenden Hauses in Oberrad gemeldet. Sie haben einen Streifenwagen losgeschickt, um die Sache zu überprüfen. Die Angaben des Mannes haben sich bestätigt. An der angegebenen Stelle wurde der leblose Körper einer Frau gefunden. Das ist es, was die Kollegen mir gesagt haben. Und dass wohl alles dafür spricht, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt.»
    «Was spricht dafür?», fragte Marthaler.
    Elvira schüttelte den Kopf. «Mehr weiß ich nicht. Ich habe die Spurensicherung bereits benachrichtigt. Walter Schilling hat versprochen, sofort loszufahren.»
    «Gut. Wer ist frei? Wer hat Zeit, sich die Sache mit mir anzusehen?» Marthaler schaute in die Runde. Er wusste nur zu gut, dass es unter seinen Kollegen von der ersten Mordkommission niemanden gab, der auf einen weiteren Fall erpicht war. Liebmann und Döring mühten sich seit drei Tagen, die Identität einer männlichen Wasserleiche zu klären, die man aus dem Main geborgen hatte. Kerstin Henschel bereitete sich auf ihre Zeugenaussage bei einem Prozess wegen Totschlags vor. Und Manfred Petersen untersuchte einen Unfall auf der Autobahn, bei dem es eine Woche zuvor drei Tote, aber keine Zeugen gegeben hatte. Keiner von ihnen hatte auf zusätzliche Arbeit gewartet.
    «Tut mir Leid, Sven», sagte Marthaler, «dann muss ichdich bitten, mit mir zu kommen. So lange, bis wir wissen, was es mit der Sache in Oberrad auf sich hat, soll Kai alleine weitermachen.»
    Sven Liebmann nickte. Alle wussten, dass Marthaler gerne mit dem schlaksigen Polizisten
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