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Wanted

Wanted

Titel: Wanted
Autoren: Jörg Juretzka
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Prolog
    Ein Traum, dachte ich und bewunderte die energisch geschwungene Kinnlinie, die mir der Zeichner verpasst hatte. Dann senkte ich den Blick auf die ausgelobte Summe und spürte kurz den Kitzel der Versuchung, schnurstracks zum Sheriffbüro durchzureiten und mich hängen zu lassen, nur um sie mir zu verdienen. Mann, ich war müde. Doch ich war am Ziel. Sechs Tage hektischer Ritt lagen endlich hinter mir und so ließ ich die Szenerie von Buttercup, North Carolina, in Ruhe auf mich einwirken.
    Es war Mittagszeit, heiß wie nur je ein Augusttag in dieser dumpf brütenden Ebene, und wer es sich leisten konnte, ritt seine Mätresse oder lag sonst wie japsend im Schatten.
    Zwei Mexikaner warteten schlafend vor der Eisenwarenhandlung, ein Neger fegte den hölzernen Gehsteig vor dem Drugstore, ein anderer schwankte mit großen Wassereimern an einem Gestell über seiner Schulter umher und füllte die Pferdetränken.
    Einziges anderes Zeichen von Leben auf der breiten, ungepflasterten Hauptstraße waren ein paar Geier, die sich um einen toten Hund balgten.
    »Er ist da«, sagte Shits und wischte mit dem Ärmel seiner schwarzen Jacke am Fenster des Saloons herum, um einen genaueren Blick auf die Gestalt des einsamen Reiters werfen zu können.
    »Der verdammte Hund hat es doch tatsächlich geschafft.« Nervös wickelte er das Maßband in seinen Fingern ein Stück ab.
    »Ganz wie Kleines Glas es vorausgesagt hat«, meinte Pancho, polierte nachdenklich am Spiegel hinter der Bar herum und warf einen sorgenvollen Blick auf sein mechanisches Klavier. Waren nicht billig gewesen, die Reparaturen, letztes Mal.
    »Dann geht's also los?« Bro Ho ließ seine Zeitung sinken und hörte für einen Moment auf, sich Reste seines Frühstücks aus den Zähnen zu porkeln. Musste man dankbar für sein für solche Momente. Denn: Er porkelte sich nicht nur ausdauernd mit seinem Zahnstocher im Gebiss herum, nein, er holte, was immer er da fand, heraus ans Licht, betrachtete es ebenso kritisch wie ausgiebig von allen Seiten, beschnüffelte es nicht selten auch noch, nur um es dann ...
    »Ja«, meinte Shits. Zögernd löste er sich vom Fenster und wickelte das Maßband wieder ein. »Es geht los.«

I
    »Ropes of the gallows
    Are swingin' in the breeze
    All the >Wanted<-posters
    Have pictures of me.«
     
    The Beat Farmers >California Kid<
     
    Erst das Pferd und dann der Reiter. Eine meiner kleinen Regeln. Man sollte nie vergessen, wer wen auf seinem Rücken trägt und warum eine Umkehrung dieses Arrangements keine wirklich gute Idee wäre. Schon gar nicht für jemanden in meiner Situation.
    Deshalb passierte ich also erst mal mannhaft den Saloon, ließ den Schecken weitertrotten bis zum Mietstall, stieg nicht ohne eine gewisse Mühe ab und führte ihn hinein ins gnädige Halbdunkel.
    Gleich die erste Box war belegt. Noch hatten sich meine Augen nicht auf die Lichtverhältnisse umgestellt, doch was sie mitbekamen, wirkte so, als hätte sich ein schiffbrüchiger Indianer mit letzter Kraft auf ein Rettungsfloß gerettet.
    »Na, auch mal wieder in der Stadt?« Sam, der eineinhalbbeinige Verwalter dieses Schuppens, war mitsamt Krücke an meiner Seite aufgetaucht.
    »Ist 'ne Weile her, oder?«
    »Stimmt«, bestätigte ich. »Ich komme nicht oft nach Buttercup und wenn doch, bleibe ich nicht lang. Deshalb ist mir, als ob ich mich jedes Mal wieder komplett neu eingewöhnen müsste. Ist das etwa Toller Hund, der da in der Box liegt?«
    Sam strich sich durch den grauen Bart, rückte seine alte Kavalleriemütze zurecht. Auf die Knöchel seiner Rechten hatte er H-A-T-E tätowiert. Auf die der Linken auch, doch das nur nebenbei. Prüfend und konzentriert umhumpelte er mein Pferd, strich ihm sachte über die verschwitzte Flanke.
    »Hat er die Hose auf halbmast?«, fragte er.
    Ich sah nach, wurde mit dem Anblick zweier pickliger Arschbacken belohnt und nickte.
    »Hat er 'ne Pulle Fusel in der Hand?«
    Er hatte.
    »Ist sie leer?«
    Sie war.
    »Liegt er auf 'ner Frau?«
    Das Rettungsfloß erwies sich bei genauerer Betrachtung als eine ungeheuer dicke Negerin. Ich ging nicht ins Detail, sondern bestätigte nur kurz den generellen Umstand.
    »Und, grinst sie?«
    »Ich würde es eher ein Lächeln nennen«, meinte ich galant. »Also, noch Fragen?«
    »Ja. Was hat sich hier seit meinem letzten Besuch geändert?«
    »Einiges und dann doch wieder gar nichts«, meinte Sam, ausweichend. »Die dritte Box ist noch frei.«
    Ich schob den Schecken in die dritte Box und löste
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