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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee
Autoren: Jan Seghers
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ihnen folgte.
    «Irgendwas nicht in Ordnung?», fragte der Taxifahrer.
    Gabriele Hasler verneinte. Sie versuchte sich zu entspannen. Der Verkehr war so dicht, dass sie nur schrittweise vorankamen. Einmal berührte der Fahrer beim Schalten wie versehentlichihr Knie. Statt sich zu entschuldigen, sah er nur kurz zu ihr rüber, als wolle er feststellen, wie sie reagierte. Sie verlagerte ihre Beine in die andere Richtung.
    Als sie das nächste Mal durch die Heckscheibe sah, war der BMW noch immer hinter ihnen. Sie bat den Taxifahrer, die Richtung zu ändern.
    «Da ist alles dicht. Außerdem ist es ein Umweg», sagte er.
    «Machen Sie einfach, was ich sage», erwiderte sie.
    Aber mit einem Mal war der BMW nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich getäuscht. Niemand war in der Praxis gewesen. Niemand hatte sie auf der Straße beobachtet. Sie wurde nicht verfolgt. Keiner bedrohte sie.
    «Hübsch», sagte der Taxifahrer und grinste. Er beugte sich ein Stück zu ihr hinüber. Sie konnte sein Rasierwasser riechen.
    «Was meinen Sie?», fragte Gabriele Hasler.
    Statt zu antworten, schaute er auf ihre Beine.
    «Lassen Sie mich hier aussteigen!», sagte sie. «Ich gehe den Rest zu Fuß.»
    «Was?»
    «Es heißt nicht ‹was›, es heißt ‹wie bitte›! Ich möchte zahlen.»
    «Ich kann hier nicht halten.»
    «Doch, Sie können.»
    Sie öffnete die Wagentür. Abrupt stoppte das Fahrzeug. Sofort wurde hinter ihnen gehupt. Gabriele Hasler ließ sich nicht beirren. Sie begann in den Tiefen ihrer großen Handtasche zu wühlen. Umständlich kramte sie ihr Kleingeld zusammen. Der Fahrer zählte nach. «Fehlen fünfzig Cent», sagte er. Sie nahm die Münzen wieder an sich und hielt ihm einen Zweihundert-Euro-Schein hin. Sie merkte, wie er böse wurde.
    «Kann ich nicht wechseln. Meine Schicht hat gerade erst angefangen.»
    «Tja», sagte sie. «Was machen wir nun?»
    In seinem Gesicht arbeitete es.
    «Gib das Kleingeld her und verzieh dich!», platzte er heraus.
    «Das üben wir nochmal», sagte sie.
    «Was?»
    «Wie bitte!»
    Endlich schien er verstanden zu haben. «Geben Sie mir das Geld und steigen Sie aus! Bitte! Und wenn Sie das nächste Mal in der Taxizentrale anrufen, sagen Sie der Telefonistin, dass Sie keinesfalls mit der Nummer 476 fahren möchten. Merken Sie sich das: vier-sieben-sechs!»
    «Ja», sagte sie. «Das hatte ich mir bereits vorgenommen.»
    Sie warf die Münzen in die Konsole unter dem Taxameter. Sie blieb sitzen. Der Fahrer wartete. «Ist noch was?»
    «Ja. Ich hätte gerne eine Quittung.»
    Er trommelte mit beiden Fäusten aufs Lenkrad. Einen Moment lang befürchtete sie, er könne sie schlagen. Stattdessen schüttelte er den Kopf und brach in nervöses Gelächter aus. Dann reichte er ihr ein ausgefülltes Quittungsformular.
    Gabriele Hasler stieg aus und ließ die Beifahrertür so weit offen, dass der Taxifahrer von seinem Sitz aus den Griff nicht erreichen konnte. Er musste aussteigen und den Wagen umrunden, um die Tür zu schließen. Sie verstand nicht, was er ihr nachrief. Aber im Weggehen hörte sie, wie das Hupkonzert der erbosten Autofahrer immer lauter wurde.
    Am Main-Plaza erreichte sie den Fluss. Die Luft war feucht und kalt. Ein leichter Nieselregen setzte ein. Der Uferweg, der sonst von Spaziergängern, Freizeitsportlern und Hundehaltern bevölkert wurde, war jetzt menschenleer. Inzwischen war es dunkel geworden. Sie schlug den Kragen ihres Mantels hoch und machte sich auf den Weg. Rechts sah sie die Lichter des neu erbauten Deutschherrnviertels. Als die Bebauungendete, wurde der Uferstreifen breiter, aber auch dunkler. Das Gelände war von Bäumen bewachsen und von Hecken gesäumt. Sie zögerte kurz, dann marschierte sie los. Sie wollte zielstrebig und entschlossen wirken. Niemand, der sie sah, sollte ihre Angst bemerken. Fünf Minuten später kam sie an den flachen Gebäuden der Wassersportvereine vorbei, dann lag noch einmal eine kurze, dunkle Strecke vor ihr. Als sie die Gerbermühle erreicht hatte, atmete sie auf. Jetzt musste sie nur noch die Straße überqueren und durch die Bahnunterführung laufen, dann war sie zu Hause.
    Bereits bevor sie das Grundstück erreicht hatte, tastete sie in ihrer Tasche nach dem Schlüsselbund. Der Eingang wurde von einer kleinen Außenlaterne schwach beleuchtet. Als sie gerade den Schlüssel ins Schloss gesteckt und die Haustür geöffnet hatte, versteiften sich ihre Schultern. Sie merkte, dass jemand hinter ihr in der Dunkelheit stand. Sie fuhr herum. Ein fremder
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