Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil
Autoren: Christian Jacq
Vom Netzwerk:
und Einsamkeit vorbehalten
war, erreichten Ramses der Große und Nofret das Grab des Vaters des Königs, des
erlauchten Sethi I. das größte des ganzen Tals.
    Der Pharao
ergriff eine Lampe, die an der obersten Stufe des steil hinabführenden Gangs
niedergelegt worden war. Er entzündete sie an dem Docht, den Nofret ihm
hinhielt, und verharrte in Andacht. Ramses empfand grenzenlose Bewunderung für
seinen Vater, der ihn sehr jung an der Herrschaft hatte teilhaben lassen und
ihm alles über die Kunst des Regierens beigebracht hatte.
    »Eure
Majestät… Ich würde gerne mit Euch sprechen.«
    Irritiert wandte
sich Ramses um.
    Es war
tatsächlich die Lichtträgerin, die zu ihm sprach, und nicht die Göttin des
Westens.
    »Mir scheint,
dass diese Einmischung nicht zum Ritual gehört.«
    Die
Priesterin kniete nieder.
    »Ich bin
Nofret, die Tochter von Richter Rensi. Ich brauche Eure Hilfe in einer ernsten
Angelegenheit.«
    »Jetzt ist
weder der Tag noch die Stunde dafür«, urteilte der König. »Diese Angelegenheit
muss wirklich ernst sein, wenn sie die Zuständigkeit deines Vaters
überschreitet.«
    »Ich flehe
Euch an, mich anzuhören, Majestät.«
    Der große
Ramses betrachtete die junge Frau.
    »Du bist sehr
schön, Nofret, und du verstehst es, mich anzurühren. Betreten wir das Grab.
Wenn wir zu lange an der Schwelle stehen bleiben, werden die Wachen glauben, es
geschehe etwas Ungewöhnliches.«
    Nofret war
geblendet von der Herrlichkeit der Malereien, die die Wände des Grabes von
Sethi I. verzierten. Der Vater von Ramses kam in den Genuss von
Überlebensritualen, die es ermöglichten, im Jenseits Mund und Augen zu öffnen.
Außerdem wurden die Stationen der Wiederauferstehung der Sonne beschrieben, die
mit der königlichen Seele gleich war. Eine herrliche Decke über dem Sarkophag
zeigte das Bild der Himmelsgöttin, die in ihrem Körper die Unermesslichkeit der
Sterne und Planeten trug.
    »Diese Ruhestätte
der Ewigkeit ist die schönste von ganz Ägypten«, sagte Ramses. »Sie ist das
Meisterwerk genialer Handwerker, deren Schaffen ganz der Größe meines Vaters
ebenbürtig ist. Diese Nacht gebe ich ihm das Licht zurück, das er mir geschenkt
hat, Nofret. Hier sind wir im Jenseits, weit entfernt von den menschlichen
Angelegenheiten. Wenn du mir die Sache, die dir so am Herzen liegt, darlegen
willst, so begib dich übermorgen in den Palast. Dort versammle ich meinen Rat.
Du wirst nach dem königlichen Protokollschreiber fragen und ihm diesen
Skarabäus überreichen.«
    Nofret
empfing den kostbaren Passierschein.
    »Verlass
jetzt das Grab«, befahl der König. »Ich muss mit den Göttern allein sein.«
     
     
    Kamose
erwartete Nofret in der Umgebung des Gartens von Deir el-Bahari. In allen
Gräbern des Westufers traten die Lebenden jetzt unter dem Schutz der lächelnden
Göttin des Jenseits in Kontakt mit den Toten. Die Festmahle dauerten die ganze
Nacht und wurden von Gesängen und Tänzen begleitet. Jeder wusste, dass die
Grenze zwischen irdischem Leben und der Ewigkeit sehr schmal war. In dieser
Zeit des Feierns musste man die Augenblicke des Glücks auskosten, die die
Götter großzügig gewährten.
    Nofret hatte
die kostbare Flamme der Priesterin zurückgegeben, die sie wieder in das Heiligtum
der Göttin Hathor gestellt hatte. Danach war Nofret die zentrale Rampe zum
Garten hinuntergegangen.
    »Nofret!«,
rief Kamose. »Hast du ihn sprechen können?«
    »Ja, aber…«
    »Er hat dich nicht angehört.«
    »Doch. Der
Pharao hat eingewilligt, uns eine Audienz zu gewähren.«
    Die Augen des
jungen Mannes begannen hoffnungsvoll zu leuchten.
    »Wann?«
    »Übermorgen.«
    »Wo?«
    »Im Palast.«
    »Das ist
herrlich, Nofret!«
    Er nahm sie
in die Arme und drückte sie an sich.
    »Du hast das
Unmögliche geschafft! Wir können mit dem König sprechen und ihn überzeugen.«
    »Wir werden nicht allein
sein«, wandte die junge Frau betrübt um.
    »Nicht
allein? Was willst du damit sagen?«
    »Es handelt
sich nicht um eine Privataudienz, Kamose. Der große Rat empfängt uns.«
    »Der große
Rat! Gegen den können wir uns nicht wehren!«
    »Wir müssen
uns auch nicht wehren, Kamose, sondern ihm begreiflich machen, dass hier eine
Ungerechtigkeit begangen wurde.«
    »Und wenn er
uns nicht glaubt? Weißt du, was uns erwartet?«
    »Ich habe keinerlei Furcht.
Er wird uns glauben, da wir die Wahrheit sagen.«

 
    22
     
     
     
    Als der Pharao den Ratssaal
betrat, standen alle Ratsmitglieder auf und grüßten den Herrscher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher