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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle
Autoren: Claudie Gallay
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Vorsehung!« , sagte der Wirt.

    Die Polizisten antworteten nicht. Sie waren daran gewöhnt, außerdem waren sie hier geboren, irgendwo zwischen Cherbourg und Beaumont. Sie kannten alle hier.
    Der Wirt brachte mir fürs Erste ein paar Krabben und ein Glas Wein.
    Ich sah aus dem Fenster zu den Brettern, die immer noch angeschwemmt wurden, und zu den Männern, die sie erwarteten.
    Lambert stand am Hafen.
    Die alte Nan war verschwunden.

A m Abend nahm das Meer die Bretter wieder mit, und wir versammelten uns alle bei Lili. Für ein paar Stunden drängten sich die Männer, die gerade ankamen, am Tresen und stellten sich zu denen, die schon da waren. Die Kinder kauften Erdnüsse, die sie im hinteren Saal, mit dem Rücken am Flipper lehnend, aßen. Es roch nach Wolle, nach feuchter Kleidung, die zu dampfen anfing, wenn sie mit dem Körper in Berührung kam.
    Max stand am Tresen, Lili hinter ihrer Theke. Sie hatte ihr Nylonkleid angezogen, rosa und weiße Rauten, darüber eine Schürze.
    Als sie mich reinkommen sah, winkte sie mir zu:
    »Geht’s gut?«
    Ich nickte und schlängelte mich zwischen den Tischen durch. Es war überall viel los, nur nicht hinten bei der Mutter. Ich ging zu ihr.
    Lili hatte mich schon immer geduzt, auch als sie erfahren hatte, dass ich die aus der Griffue bin und dass ich gekommen war, um anstelle ihres Vaters Vögel zu beobachten. Von ihrem Vater sprach sie nie.
    Als sie vom Schiffbruch erfahren hatte, hatte sie Gemüse gekocht, einen großen Eintopf mit Speckwürfeln und Würsten.
Sie genoss die Gesellschaft der Männer in ihrem Bistro. Diese Gemeinschaft; diese Atmosphäre besonderer Wärme, wenn die Müdigkeit sich breitmachte, die Männer dösten oder weiterredeten, um nicht einzuschlafen.
    »Guten Tag, Mutter.«
    Wir nannten sie alle so: Die Mutter . Sie sah mich nicht an, sondern schlürfte ihre Suppe weiter wie ein durstiges Tier, vorgebeugt, die Augen auf den Teller gerichtet. Sie war so alt, dass ich sie für alterslos hielt.
    Von Lili durfte man nichts Kompliziertes verlangen, wenn das Bistro voll war. Von der Suppe schenkte sie zwei Kellen für zwei Euro pro Schale aus. Für alle, die keine Suppe mochten, hatte sie Glühwein oder einen grünen Likör, den sie in Gläsern ohne Fuß servierte. Denen, die gar nichts mochten, wies sie die Tür.
    Es war voll. Es war warm. Ich zog den Pullover aus.
    Als Lambert hereinkam, drehten die Männer die Köpfe. Ein Unbekannter im Café! Auch Lili schaute auf. Ich beobachtete den Moment, in dem sie sich ansahen. Ein paar Sekunden dauerte er, dann wandten sie sich fast gleichzeitig ab. Ich spürte, dass sie sich kannten.
    Lambert ging zwischen den Tischen hindurch, er fand einen Platz, und Lili servierte weiter.
    Ringsum wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Alle sprachen vom Schiffbruch, von diesem und von anderen Schiffbrüchen, denen der Vergangenheit. Von Frauen, die nachts auf die Steilküste kletterten, Feuer entzündeten, um sie herumtanzten und ihre Röcke fliegen ließen. Es waren alte Geschichten mit seltsamen Namen, Mylène, die schöne Béatrix, Namen, die sich mit anderen mischten. Ich hörte ihnen zu, von Hexen war die Rede und von Kröten. Im allgemeinen Lärm übertönten sich die Stimmen, ich hörte sie über Goublins und Milloraines sprechen, über Rohrweihen, Waldmolche, alte Eichen und Rotahorn …

    Die Männer erzählten auch Geschichten, in denen die Röcke der Frauen schuld am Untergang der Boote waren.
    Die Kinder schliefen schließlich eines nach dem anderen ein, sie dösten, die Köpfe auf den Armen oder zusammengerollt auf dem Schoß ihrer Mütter. Selbst im Schlaf zuckten ihre Lider. Sie träumten von Feuern und Schätzen.
     
    Die Mutter steckte den Löffel in ihre Schale. Sie sah mich von unten an, den Mund halb geöffnet.
    »Und der Alte?«, knirschte sie.
    Lili hatte gesagt, man dürfe ihr nie antworten, wenn sie von Théo sprach.
    Ich blieb stumm.
    Sie ließ nicht ab: »Der Alte, wo ist er?«
    »Es ist dunkel …«, sagte ich, drehte mich um und zeigte aufs Fenster.
    »Im Dunkeln gehen die Alten nicht raus, das sind doch keine Katzen.«
    Sie schlürfte weiter.
    Die kleine Bachstelze schlüpfte zwischen den Tischen hindurch. Sie schmiegte sich an mich. Sie war ein seltsames kleines Geschöpf, eine Wilde mit einem Fingerabdruck über der Lippe, einer schlecht operierten Hasenscharte. Sie lebte auf dem Bauernhof gleich nebenan. Sie sprach wenig. Ich hatte sie liebgewonnen.
    »Müsstest du nicht im Bett
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