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Die Boten des Todes

Die Boten des Todes

Titel: Die Boten des Todes
Autoren: Hans Gruhl
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sein
Haar und dachte dabei an den spärlichen Bestand seines Freundes Carlo. Und
diese Zirli mit ihren Mordmethoden. Sie würde sich eines Tages vor Begeisterung
noch selbst aus dem Wege räumen. Adrian entfernte mit Hilfe der Brause die
Schaumreste vom Boden der Wanne. Er stieg in die Pantoffeln, zog seinen
Schlafanzug an und dehnte sich wohlig unter der Seide. Dann löschte er das
Licht und betrat sein Schlafzimmer.
    Als er die Tür zum Bad hinter sich ins
Schloß gezogen hatte, hielt er plötzlich inne. Seine Hand blieb auf der Klinke.
Seine Augen verengten sich etwas und Falten erschienen auf seiner rosigen
Stirn. Er blieb bewegungslos stehen.
    Es war etwas verändert im Zimmer. Er
wußte nicht, was es war, es stand alles an seinem Platz, nichts fehlte. Er ließ
die Klinke los und blickte wieder ins Zimmer und hinüber zu seinem Bett.
    Dann sah er es.
    Auf dem Nachttisch lag ein Buch, das
vorher nicht dagewesen war. Es war aufgeschlagen, mit dem Einband nach oben,
und der Lichtkegel aus dem Lampenschirm warf einen Halbkreis über das
dunkelgrüne Leinen.
    Adrian wußte genau, daß kein Buch dort
gelegen hatte.
    Langsam ging er um das Bett herum zum
Nachttisch. Er blieb stehen, aber bevor er sich hinunterbeugte, sah er noch
einmal im Zimmer herum, ob etwas anderes nicht in Ordnung wäre.
    Nichts. Nur das Buch.
    Adrian hob es hoch, aufgeschlagen, wie
es war. Ein Bild war auf dem Einband, in kräftigen Farben und primitiv gemalt.
    Schneewittchen mit den sieben Zwergen.
    Er hielt eine alte Ausgabe von Grimms
Märchen in der Hand.
    Adrian setzte sich langsam auf den Rand
seines Bettes. Er starrte die Schrift an, das Bild, den vergriffenen
Leineneinband. Dann drehte er das Buch um. Es war so aufgeschlagen, daß gerade
ein neues Märchen begann. Der Titel war mit einem Rotstift dick unterstrichen.
    DIE BOTEN DES TODES.
    Adrian las.
     
     
     

II
     
    Herr Adrian las im Schein seiner
Nachttischlampe das Märchen von dem reichen Mann, den der Tod besuchte. Er
kündigte ihm an, daß er ihn bald holen würde, aber der Reiche wollte nicht
sterben, er feilschte mit dem Tod, bat um Aufschub, um eine Frist. Schließlich
willigte der Tod ein, ihm erst seine Boten zu schicken, bevor er ihn holen
würde, und dann verließ er den Reichen.
    Der Mann wartete auf die Boten des
Todes, aber es kamen keine. Dafür wurde er krank und meinte schon, der Tod habe
sein Wort gebrochen und würde ihn zu sich nehmen, ohne die Boten vorher zu
schicken. Aber es genas. Er lebte weiter, die Zeit verging, noch mehrmals wurde
er von Krankheiten heimgesucht, immer wieder wurde er gesund. Nun meinte er,
der Tod hätte ihn jetzt vergessen und ihm nur Angst machen wollen, und er lebte
fröhlich weiter wie früher. Aber plötzlich stand der Tod vor ihm.
    Der reiche Mann erschrak und erinnerte
den Tod an sein Wort.
    »Habe ich dir nicht meine Boten
geschickt?« fragte der Tod. »Hat dich nicht das Fieber geschüttelt und der
Schmerz geplagt? Deine Krankheiten — das waren meine Boten!«
    Und er nahm ihn mit sich.
    Herr van Noringen blickte betroffen auf
das kleine, bunte Bild unter der letzten Zeile, auf dem der klapperdürre Tod
den dicken Reichen mit sich fort führte. Unwillkürlich überlegte er, wann er
zuletzt ein Märchen gelesen hatte. Es mußte über fünfzig Jahre her sein. Und
heute, an seinem Hochzeitstag, hielt er ein Märchenbuch in der Hand wie als
kleiner Junge. Ein leichter Stich zog durch Adrians Brust. Gut, Ada hatte ihm
eine Freude machen wollen. Lieb von ihr. Aber daß sie gerade dieses Märchen
wählen mußte! Hänsel und Gretel hätte es auch getan, irgendwas anderes, König
Drosselbart — Herr Adrian zuckte zusammen. Nein, das lieber nicht. Da waren die
Boten des Todes schon angenehmer.
    Er erhob sich und knotete den Gürtel
des Morgenrockes fest. Es würde sich aufklären. Er ließ die Lampe brennen. Das
Buch nahm er mit und klemmte den Daumen zwischen die Seiten, auf denen es
begann. Dann verließ er das Zimmer. Der Flur lag dunkel. Adrian schaltete die
Beleuchtung ein.
    Vor Adas Tür verharrte er einen
Augenblick, bevor er klopfte.
    Adas Stimme verscheuchte alle
unangenehmen Gedanken.
    Sie lag im Bett, mit einem Hauch von
Nachthemd und zartrosa im Gesicht. »Du Böser! Wo warst du so lange? Ich glaubte
schon, du wärest in der Wanne ertrunken.«
    Herr Adrian wurde ungern an diese
Todesart erinnert. Dennoch bewahrte er seine strahlende Miene. »Aber nicht
doch, Schatz. Ich mußte nur schnell ein Märchen lesen.«
    »Ein
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