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Die Boten des Todes

Die Boten des Todes

Titel: Die Boten des Todes
Autoren: Hans Gruhl
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Märchen?«
    Ihr Gesicht war die reine Überraschung.
Er setzte sich auf den Rand ihres Bettes und klappte das Buch auf.
    »Ich nehme an, du kennst es. Sonst
würde ich es dir vorlesen, mein Liebling. Interessant wäre mir zu erfahren,
warum du diesem Märchen den Vorzug gegeben hast.«
    Ada richtete sich halb auf. Sie blickte
ihn an wie eine Erscheinung. »Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst.«
    Adrian streichelte über ihre Stirn,
    »Deine Überraschung ist gelungen.
Vollständig. Mir war zwar, als hätte ich dich gehört, von der Badewanne aus...«
    Ada setzte sich steil aufrecht. »Aber
Adrian! Was redest du da! Mich gehört?«
    Adrian hob lächelnd das Buch in die
Höhe.
    »Dieses Märchenbuch, mein Kind, lag auf
meinem Nachttisch, als ich das Bad verließ. Das Buch war aufgeschlagen.«
    Adrian drehte es herum und wies auf die
rot unterstrichene Überschrift. »Die Boten des Todes. Brüder Grimm. Ein
schönes, gedankentiefes Märchen. Ich habe es mit Genuß gelesen. Aber der Genuß
wäre unvollständig, wenn du mir nicht verrätst, wie du auf dieses Märchen
gekommen bist.«
    Er sah sie an mit dem Blick des
wohlwollenden Klassenlehrers. Ada griff hastig nach dem Buch und starrte die
Überschrift an. Mit heftiger Bewegung gab sie es zurück.
    »Adrian! Was soll das? Glaubst du im
Ernst, ich hätte dieses Buch in dein Zimmer gelegt?«
    »Das glaube ich allerdings, mein Herz.
Denn sonst würde sich die Frage stellen, wer außer dir es getan haben könnte.«
    Für einige Sekunden war Ruhe. Adrian
behielt sein Lächeln bei während dieser Zeit. Allerliebst sah sie aus, wenn sie
schwindelte.
    »Adrian! Ich schwöre dir, ich habe
meine Zimmer nicht verlassen. Ich habe dieses Buch nie in meinem Leben gesehen,
geschweige es auf deinen Nachttisch gelegt! Und dieses komische Märchen kenne
ich überhaupt nicht!«
    Jetzt konnte Herr van Noringen nicht
umhin, die Stirn zu runzeln. »Du warst es nicht?«
    »Nein! Ich habe anfangs gar nicht
verstanden, was du wolltest! Oh, Adrian, was bedeutet das?«
    »Äh — bevor ich diese Frage beantworte —
verzeih mir, mein Kind...«Er küßte sie sanft auf die Wange. »... Verzeih mir,
wenn ich abermals frage — du warst es wirklich nicht?«
    »Nein! Wirklich nicht!«
    Herr Adrian betrachtete mit Widerwillen
die unangenehmen vier Worte über dem roten Strich. »Das könnte in diesem Falle
nur bedeuten, daß — «
    »Daß was?«
    »Daß außer uns noch jemand in diesem
Hause ist.«
    Ada stieß den leisen Schrei nicht
sofort aus, sondern nach einer Schrecksekunde. Sie preßte die Hand auf den
Mund.
    Adrian legte seinen Arm um ihre
Schultern. »Beruhige dich, Liebling. Es wird sich auf klären.«
    »Adrian! Sag, daß es nicht wahr ist! Du
machst Spaß mit mir.«
    »Niemals würde ich mir solche Späße
erlauben!«
    »Aber - vielleicht irrst du dich!
Vielleicht hast du es selbst mitgenommen aus der Bibliothek und nicht mehr
daran gedacht! Erinnere dich, Adrian!«
    »Ich habe diese Möglichkeit sofort
erwogen, Adalein. Es ist ausgeschlossen. Wir sind zusammen heraufgekommen. Wir
sind nicht durch die Bibliothek gegangen, und du wirst dich erinnern, daß ich
kein Buch bei mir hatte. Es lag keins auf meinem Nachttisch, als ich mein
Schlafzimmer betrat.«
    »Bist du sicher, Adrian?«
    »Ganz sicher, Liebling. Ich hätte es
sofort bemerkt. Es lag ja auch heute nachmittag keins da, als Carlo und ich das
Zimmer besichtigten.«
    Herr Adrian blickte finster. Frau Adas
Herz klopfte.
    »Aber — wer tut so etwas? Was soll das
bedeuten?«
    »Ich weiß es nicht, Kind. Du wirst
verstehen, daß ich zunächst an dich dachte — du wolltest mir eine harmlose
Freude machen, hast mir ein Märchenbuch auf den Nachttisch gelegt, wie einem
kleinen Jungen — und nun...«
    Er brach ab in der schmerzlichen
Erkenntnis, daß bald eine Entscheidung von ihm verlangt werden würde.
    »Ich war es nicht, Adrian!«
    »Ich glaube dir. Ich erinnere mich
auch, ein Geräusch gehört zu haben, als ich mich im Bad auf hielt — offenbar
vom Flur her... «
    Ada umklammerte ihn so plötzlich, daß
er fast das Gleichgewicht verlor. »Oh, Adrian! Was sollen wir tun? Ich habe
Angst!«
    Ich auch, wollte Herr van Noringen
sagen, aber er biß sich auf die Lippen. Es half nichts. Man durfte keine Furcht
zeigen. Er machte sich sanft frei und erhob sich entschlossen.
    »Sorge dich nicht, Liebling. Ich werde
nachsehen. Wenn sich jemand einen Scherz mit uns erlaubt... wehe ihm!«
    Er packte das Buch und ging zur
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