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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Freund seine Braut zurück«, sagte Blanche
spöttisch. »Hier ist jemand, den du bestimmt gerne wieder sehen
möchtest. Und ich bin sicher, er freut sich genauso auf dich.«
Vorsichtig setzte Andrej Elenja auf die Füße, ließ sie aber erst ganz
los, als Stanik neben sie getreten war und er sicher sein konnte, dass
er sie auffangen würde. Sie hatte das Bewusstsein zurückerlangt,
aber ihre Augen waren leer, und er bezweifelte, dass sie wirklich
begriff, wo sie war oder was mit ihr geschah. Er hoffte, dass sie es
nicht begreifen würde.
Blanche machte einen Schritt zurück und wiederholte seine spöttisch-auffordernde Geste. Andrej schätzte noch einmal seine Möglichkeiten ab, sich auf den Weißhaarigen zu stürzen und ihn zu überrumpeln. Aber es war aussichtslos. Hätte er eine Waffe gehabt und
wäre er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen, so hätte er vielleicht
einen Versuch unternehmen können. Aber sein Schwert steckte in
Blanches Gürtel und fast seine gesamte Kraft in der fauligen Seele
des Weißhaarigen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass Blanche
ihn zuvor ohne die geringste Mühe hätte töten können und es wohl
überlegt nicht getan hatte - um ihm etwas zu zeigen.
Blanche deutete auf einen gut zwei Meter hohen, massigen Kokon,
unter dessen dichtem Gespinst sich ein schwarzer, nahezu formlos
erscheinender Umriss abzeichnete. Er wartete, bis er sich Andrejs
Aufmerksamkeit vollkommen sicher sein konnte, dann trat er vor
und begann das Gespinst zu zerstören. Andrej registrierte aufmerksam, dass auch er große Mühe hatte, die Fäden zu zerreißen und
nicht daran haften zu bleiben.
Das Gesicht, das unter dem zerrissenen Gewebe zum Vorschein
kam, gehörte Abu Dun. Er lebte. Seine Augen standen weit offen, der
Mund war wie zu einem lautlosen, verzweifelten Schrei geformt. Als
er Andrej erblickte, bäumte er sich verzweifelt auf. Doch nicht einmal seine gewaltigen Körperkräfte reichten aus, sich aus der Gefangenschaft zu befreien.
»Andrej!«, stöhnte er. »Du musst vorsichtig sein! Es ist nicht Maria!«
»Ich weiß, mein Freund«, sagte Andrej leise. »Ich hätte auf dich hören sollen.«
Traurig betrachtete er das Gesicht seines Freundes, dann drehte er
sich um und ließ seinen Blick über die anderen, schrecklichen Kokons schweifen. »Du hattest Recht, Stanik«, murmelte er. »Genau
wie dein Vater. Das sind die verschwundenen Mädchen.«
»Aber wie… wie ist das möglich?«, stammelte Stanik. »Ich habe
mit einer von ihnen gesprochen. Und Pater Lorenz hat seine Nichte
jede Woche zur Messe mitgebracht. Ich habe sie selbst gesehen!«
»Nein«, flüsterte Andrej und drehte sich wieder zu Blanche um,
»das hast du nicht.«
Der Weißhaarige deutete eine spöttische Verbeugung an und verwandelte sich währenddessen in ein zierliches Mädchen mit dunklem
Haar und blassem Gesicht. »Ja, alle anderen haben das wohl auch
geglaubt«, sagte er mit der Stimme des Mädchens, mit dem Andrej
an seinem ersten Morgen im Gasthaus gesprochen hatte. Kaum dass
er den Satz zu Ende gebracht hatte, wurde er wieder zu der vertrauten, weiß gekleideten Gestalt. »Ich gebe zu, es hat mich amüsiert.
Auch wenn es auf die Dauer ziemlich anstrengend gewesen ist.« Er
lachte. »Oder würde es dir Spaß machen, dich jeden Tag ein halbes
Dutzend Mal umzuziehen?«
Andrej deutete auf das Netz. »Und das?«, fragte er. »Ist das deine
wahre Gestalt?«
Blanche schien einen Moment über diese Frage nachdenken zu
müssen, und als er antwortete, tat er es mit einem zögernden Schulterzucken. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Ich habe so viele Leben
gelebt und bin in so viele Körper geschlüpft, dass ich allmählich anfange zu vergessen, was ich wirklich war. Aber nein - ich glaube,
irgendwann war ich ein ganz normaler Mensch. Gottlob ist das schon
lange vorbei.«
Nein, dachte Andrej. Wenn er sich einer Sache sicher war, dann
der, dass diese Kreatur niemals ein Mensch gewesen war. Vielleicht
hatte sie irgendwann einmal vor unendlich langer Zeit ausgesehen
wie ein Mensch. Vielleicht war sie in einem menschlichen Körper
geboren worden. Aber sie war niemals ein Mensch gewesen. So wenig, wie sie je ein Unsterblicher wie Abu Dun oder er gewesen war.
»Aber… aber warum eine Spinne?«, flüsterte Stanik.
»Für einen so kräftigen jungen Burschen, wie du einer bist, weißt
du erstaunlich wenig über die Natur«, erwiderte Blanche spöttisch.
»Berücksichtigt man ihre Größe, dann ist die Spinne der
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