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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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versuchte fortzukriechen. Blanche holte ihn mit einem raschen
Schritt ein und stach ihn noch einmal genauso tief in den anderen
Arm. »Das kann ziemlich lange dauern«, sagte er fröhlich. »Ich bin
zwar ein wenig in Eile, aber so viel Zeit muss sein.« Er ließ die
Schwertspitze über Staniks Gesicht und Hals gleiten, als suche er
nach einer weiteren Stelle, an der er sie hineinstoßen konnte. Andrej
hob rasch die Hand.
»Hör auf«, sagte er. »Ich habe verstanden. Ich komme mit.«
Blanche wirkte enttäuscht. Er steckte das Schwert ein und machte
eine herrische Kopfbewegung. »Dann hilf deinem jungen Freund.«
Andrej streckte den Arm aus, doch Stanik kroch hastig ein Stück
von ihm fort und stand dann aus eigener Kraft auf. Blanche legte
drohend die Hand auf den Schwertgriff. Andrej fragte sich, warum er
sich nicht einfach auf Blanche stürzte und ihn zwang, der Sache ein
Ende zu bereiten.
Stattdessen stand er auf und folgte Stanik zurück in die Kammer, in
der das bewusstlose Mädchen lag. Elenja schlief immer noch. Blanche wies Stanik mit einer herrischen Geste an, das Mädchen hochzuheben. Der Junge versuchte es, doch die Wunden, die Blanche ihm
zugefügt hatte, behinderten ihn zu sehr. Andrej schob ihn mit sanfter
Gewalt zur Seite und lud sich das Mädchen ohne die geringste Mühe
auf die Arme. Diesmal nahm Stanik seine Hilfe an, auch, wenn er
ihm dabei einen hasserfüllten Blick zuwarf. Andrej konnte den Jungen verstehen. Auch wenn Stanik inzwischen gemerkt haben musste,
dass der Weißhaarige und er Todfeinde waren, so konnte der Unterschied zwischen ihnen in seinen Augen nicht groß sein. Vielleicht
gab es für ihn nicht einmal einen.
Blanche trat an die gegenüberliegende Wand der kleinen Kammer
und berührte nacheinander drei Steine, woraufhin sich eine verborgene Tür mit einem schleifenden Geräusch öffnete. Dahinter kam ein
niedriger Gang zum Vorschein, an dessen Ende ein mattgraues, von
einem sachten, rötlichen Hauch durchwobenes Licht schimmerte.
Dicht gefolgt von Stanik trat er hinein und musste sich bücken, um
nicht an der niedrigen Decke anzustoßen. Als Blanche als Letzter die
Schwelle passierte und die Tür hinter sich schloss, wurde es fast
vollkommen dunkel. Trotzdem registrierte Andrej, dass dieser Gang
nicht gemauert, sondern offensichtlich Teil eines natürlichen Höhlensystems war, das sich unter dem gesamten ehemaligen Bauernhof
erstreckte. Unter seinen Füßen spürte er feuchtes Erdreich, seine
Schultern und sein Schädel streiften an gewachsenem Fels entlang,
nicht mehr an nassem Ziegelstein.
Nach zwei Dutzend Schritten erreichten sie das Ende des Tunnels.
Vor ihnen lag eine kleine, unregelmäßig geformte Höhle, in deren
Decke sich zahlreiche Risse und Spalten befanden, durch die das
graue Licht der Nacht und ein matter Widerschein des Feuers, das
über ihren Köpfen tobte, hereindrangen. Sie mussten sich wieder
dichter an der Erdoberfläche befinden, und auch wieder näher am
brennenden Gebäude, denn es war spürbar wärmer geworden.
Die Höhle war nicht sehr ausgedehnt. Ein Großteil des vorhandenen
Platzes wurde von etwas eingenommen, das einem Spinnennetz ähnelte. Große, an schlammverkrustete Segel erinnernde Fetzen hingen
von Decke und Felsvorsprüngen. Ihre Schritte wurden von einem
dichten Teppich aus grauweißem, seidig glänzendem Gespinst gedämpft, das den gesamten Boden bedeckte. Der unheimliche Geruch,
der Andrej schon so oft aufgefallen war, war so stark, dass er Andrej
den Atem nahm. Offensichtlich war dies der Ort, an dem er seinen
Ursprung nahm.
Überall in dem dicht gesponnenen Gewebe hingen unförmige Kokons. Manche von ihnen waren nicht größer als eine Katze, andere
jedoch schienen Umfang und Form nach menschliche Körper zu enthalten.
Stanik wimmerte angsterfüllt. Andrej musste all seine Kraft aufbieten, um dem Anblick standzuhalten. Das war das Nest der Bestie.
Der Ort, an den sich Blanche, wenn er seine menschliche Maske abgestreift hatte, zurückgezogen hatte. Das Versteck, in das er seine
Beute verschleppte, denn um nichts anderes handelte es sich bei den
leblosen Leibern, die sich unter der staubigen Seide der Kokons abzeichneten.
Blanche versetzte Stanik einen Stoß, der ihn zwei Schritte an Andrej vorbeistolpern ließ und ihn beinahe in das Netz befördert hätte.
Obwohl der Junge die grauen Fäden nur flüchtig berührte, schien er
gewaltige Mühe zu haben, sich wieder davon loszumachen.
»Gib deinem jungen
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