Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
jedoch näher kam, hob sie die Lider und sah ihm mit einem bitteren Lächeln entgegen.
»Hält er mich immer noch für eine Hexe, die Jungfrauen frisst?«,
fragte sie.
»Kannst du es ihm verübeln?«, gab Andrej zurück. Er sprach leise.
Es war nicht nötig, dass Stanik nebenan hörte, was sie redeten.
»Nein«, gestand Maria. »Ich an seiner Stelle würde wohl genauso
reagieren. Wie fühlst du dich? Ich habe doch nicht zu viel genommen, oder?«
Andrej schüttelte unwillkürlich den Kopf, auch wenn das ganz und
gar nicht der Wahrheit entsprach. Er fühlte sich noch immer so
schwach, dass er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Die
Dunkelheit, die er gespürt hatte, war noch immer da, und er musste
Acht geben, nicht unversehens in diesen Abgrund abzurutschen.
Trotzdem schüttelte er noch einmal den Kopf und zwang sich zu einem matten Lächeln.
»Ich hole mir jeden Tropfen zurück, das verspreche ich dir.«
Auch Maria lächelte, aber es wirkte kühl und distanziert.
»Was ist das hier?«, fragte er mit einer Geste in die Runde. »Blanches Privatgemächer?« Seine Stimme klang nicht so unbefangen, wie
er gewünscht hätte. Dieser Raum machte ihm Angst. So beeindruckend die Einrichtung dieses unterirdischen Saales sein mochte,
strahlte doch alles Blanches Gegenwart aus wie einen üblen Geruch.
Darüber hinaus war der Raum unglaublich schmutzig. Alles hier
starrte vor Dreck. Seine Stiefelsohlen schienen am Boden festzukleben.
»Ja«, antwortete Maria. »Ich war nur ein einziges Mal hier. Er
mochte es nicht, wenn jemand hier herunterkam.«
»Und dann hast du dich daran erinnert, und das Mädchen hierher
gebracht.«
»Wir sind gut fünfzehn Fuß unter der Erde«, bestätigte Maria.
»Selbst wenn der Hof komplett abbrennt, geschieht uns hier nichts.«
»Wir können trotzdem nicht hier bleiben«, antwortete Andrej. Er
fiel ihm schwer, sich auf Marias Worte zu konzentrieren. »Die Männer aus dem Dorf sind unterwegs hierher, und wahrscheinlich nicht,
um dir einen freundschaftlichen Besuch abzustatten.«
Maria nickte, ohne den Kopf von der Stuhllehne zu heben. Sie
machte keine Anstalten sich zu erheben.
»Er ist wieder da«, sagte Andrej.
»Wer?«
»Blanche«, antwortete er. »Oder zumindest eine der Kreaturen, die
ihn begleiten.«
»Was für eine Kreatur?«, fragte Maria.
Andrej hob die Schultern. Irgendetwas stimmte nicht. Es war dieser
Raum. Blanche hatte Monate lang dort gehaust, und seine bloße Anwesenheit hatte etwas zurückgelassen, das das ganze Gebäude verdorben hatte. Es war, als atmeten die Wände etwas von der Bösartigkeit aus, die den Weißhaarigen umgab.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete er mit einiger Verspätung. Er
wollte sich nicht an das Ungeheuer erinnern. »Etwas wie… wie eine
Spinne«, sagte er widerwillig. »Aber sie war riesig.«
»Eine Spinne?«, wiederholte Maria zweifelnd. Ihr Kleid aus rotem
Brokat raschelte, als sie sich bewegte. Andrej fragte sich, warum sie
sich eigens die Mühe gemacht hatte, es anzuziehen, obwohl sie das
bewusstlose Mädchen tragen musste und auf der Flucht vor dem
Feuer gewesen war. Noch etwas fiel ihm auf - das Kleid war vollkommen unversehrt.
Maria seufzte tief, legte die flachen Hände auf die Tischplatte und
stemmte sich in die Höhe. Andrej erschrak bis ins Mark, als er den
frischen Blutfleck sah, der dort zurückgeblieben war, wo ihr Rücken
das geschnitzte Holz berührt hatte. »Maria! Was…?«
»Schon gut«, unterbrach ihn Maria. »Das ist nichts. Ich muss nur
wieder zu Kräften kommen.« Andrej begriff, dass sie ihn nicht beunruhigen wollte. »Eine Spinne, sagst du?«
»So etwas Ähnliches«, antwortete Andrej.
»Ich weiß nur von seiner Eule«, antwortete Maria. »Du musst dich
täuschen. Blanche kann deine Sinne verwirren. Was du gesehen hast,
muss nicht wirklich das gewesen sein, dem du gegenübergestanden
hast.«
Er hatte die mörderischen Klauen der Bestie gespürt, als sie sich
wie weiß glühendes Eisen in sein Fleisch gebohrt hatten. Aber vielleicht hatte Maria Recht. Es konnte ebenso gut ein Messer gewesen
sein. Er schwieg, als ihm plötzlich auffiel, dass er sich schon wieder
getäuscht hatte. Marias Kleid war keineswegs unversehrt, sondern an
zahllosen Stellen angesengt und zerfetzt. Das war der Beweis dafür,
dass er seinen Sinnen nicht trauen durfte. Es war, als begänne die
Wirklichkeit rings um ihn herum zu zerbröckeln wie alte Farbe, die
in immer größeren Stücken von einer Leinwand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher