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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam
Autoren: Linda Belago
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schlechten Gewissen. Julie seufzte leise, raffte ihren Rock und stieg die Stufen der Veranda wieder empor.
    »Bald sind sie doch wieder da, Julie.« Jeans Stimme war voller Zärtlichkeit und Julie warf ihm einen dankbaren Blick zu. Er hatte wieder einmal erraten, was sie bedrückte, und hob nun den Blick von seinen Abrechnungsbüchern.
    »Ja, ich weiß … aber die letzten Wochen bis zu ihrer Ankunft kommen mir jedes Jahr wie eine Ewigkeit vor«, sagte sie leise. Sie setzte sich zu ihm und ließ ihren Blick zum Fluss gleiten. Die Regenfälle hatten für heute aufgehört, und die Sonne brachte die Luft über dem Fluss zum Dampfen. Es waren diese kurzen Momente nach den markerschütternden Gewittern der Regenzeit, in denen das Klima sich halbwegs erträglich gestaltete und an einen hitzigen Sommertag in Europa erinnerte. Allerdings würde durch die Trockenzeit schon bald die geballte Wucht der Tropenhitze zurückkommen, an die Julie sich in all den Jahren nur schwer hatte gewöhnen können. Sie brachte in ihren Augen nur ein Gutes: Die Jungen kamen nach Rozenburg.
    Ihr war es nicht leichtgefallen, die Jungen in der Stadt in die Schule zu schicken. Aber die Möglichkeit, sie ganzjährig auf der Plantage unterrichten zu lassen, hatte ihr auch missfallen. Kinder in diesem Alter brauchten Kontakt zu Gleichaltrigen. Hier auf der Plantage verlief das Leben in eintönigem Gleichmaß, und Julie hatte oft genug beobachtet, dass sich die Isolation auf den Plantagen bei Heranwachsenden nachteilig auswirkte. Die eigenbrötlerischen und verzogenen Sprösslinge einiger anderer Plantagenbesitzer waren ihr Grund genug gewesen, für ihre Jungen einen anderen Weg zu wählen. Also hatte sie schweren Herzens beschlossen, Henry und Martin zumindest einen Teil des Jahres in Paramaribo wohnen und die dortige Schule besuchen zu lassen. Und sie hatte beide Jungen gleichzeitig eingeschult. Wie schnell sie doch groß geworden waren! Was sie wohl nach ihrer Schulzeit machen würden? Sie konnte sich gut vorstellen, dass Henry auf der Plantage bei Jean in die Ausbildung gehen würde, das hatte er schon mehrfach angesprochen. Aber ob Martin auchauf der Plantage bleiben wollte? Julie wusste es nicht. Es fiel ihr schwer, den Jungen zu deuten, Martin war ihr, obwohl sie ihn aufgezogen hatte, immer ein wenig fremd geblieben. Sosehr sie sich auch bemüht hatte, hatte sich der Junge ihr nie ganz geöffnet und war ein Stück unnahbar geblieben. Sie beide hatten zudem einen schwierigen Start gehabt, trotzdem liebte sie ihn so wie ihren eigenen Sohn.
    Martin war damals, als die Schulzeit begann, klaglos in die Stadt gezogen. Julie hatte es nicht anders erwartet, trotzdem hatte seine spürbare Kälte sie verletzt. Henry hingegen war es sichtlich schwergefallen, sich von seinen Eltern und der Plantage zu lösen. Julie selbst ging es nicht anders, und so war sie schon im ersten Jahr zunächst mit in die Stadt gereist, ein Ritual, das sie bis heute beibehalten hatte. Sie blieb dann zumeist einige Wochen, erledigte Geschäftliches und erfüllte gesellschaftliche Verpflichtungen, bevor sie auf die Plantage zurückkehrte, um ihre Aufgaben dort wahrzunehmen. Der Abschied fiel ihr heute noch schwer, auch wenn sie jedes Mal froh war, die Stadt verlassen zu können. Sie fühlte sich dort nie besonders wohl, ließ sich das in Gegenwart der Jungen aber nicht anmerken. Die Erinnerungen an die schwere Zeit ihrer ersten Jahre in Surinam drohten sie in Paramaribo manchmal zu überwältigen, insbesondere im Stadthaus lauerten zuweilen dunkle Schatten, die sie jagten. Erinnerungen an ihren gewalttätigen ersten Mann Karl, dessen Rufe manchmal noch durch die Räume zu hallen schienen. An den Raum, in dem ihre Stieftochter, Martins Mutter Martina, gestorben war, und die Angst, welche die damalige Entführung der Kleinkinder Martin und Henry durch Martins leiblichen Vater wie einen dünnen, aber zähen Nebel hinterlassen hatte. Jean schien das Ganze nicht mehr zu berühren, doch Julie konnte das Geschehene einfach nicht vergessen.
    Die Jungen hingegen kamen in der Stadt gut zurecht. Das lag nicht zuletzt an Kiri, die gut für sie sorgte und über sie wachte.Kiri … der Gedanke an sie erfüllte Julie mit Liebe und Sehnsucht. Kiri war früher ständig in ihrer Nähe gewesen, ihre Beziehung war schon immer weit mehr als eine zwischen Bediensteter und Herrin gewesen. Sie hatten so viele gute und schlechte Zeiten gemeinsam durchlebt, so viele Hürden genommen, und Julie wusste,
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