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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam
Autoren: Linda Belago
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dass sie sich auf ihre ehemalige Leibsklavin verlassen konnte, deren menschliche Wärme ihr hier auf der Plantage so oft fehlte, gerade in Momenten wie diesen. Julie spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, und schüttelte den Gedanken ab. Meine Güte, was war sie doch sentimental! Wie oft hatte sie sich schon geschworen, nicht so zu klammern! Henry, Martin, Kiri und Karini fühlten sich wohl in der Stadt, und Julie hatte in all den Jahren nie einen wahren Grund zur Sorge haben müssen. Zumal auch ihre Freundin Erika in Paramaribo lebte, die im Notfall sofort zur Stelle wäre. Aber Julie hatte in ihrem Leben schon so viele geliebte Menschen verloren. Jetzt, da sie seit einigen Jahren in Frieden im Kreis ihrer Familie lebte, spürte sie immer noch die Angst, all dies könnte sich zerschlagen, den Jungen, ihrem Mann, oder auch Kiri, Karini und Dany könnte etwas zustoßen. Julie spürte wie häufiger in den letzten Wochen einen Anflug von Panik. Nichts wird passieren! Alles ist gut! , sagte sie wieder und wieder. Doch irgendwo in ihrem Kopf meldete sich eine dumpfe Vorahnung, die sich sogleich mit dem flauen Gefühl im Magen paarte.
    Das energische Geraschel von Jeans Unterlagen holte sie aus ihren Gedanken. Sie hob den Blick und sah, wie er die Papiere zu einem ordentlichen Stapel zusammenschob und anschließend sein Schreibzeug danebenlegte. Er wirkte angespannt, und seine Mimik verriet ihr, dass ihm etwas auf dem Herzen lag.
    »Wir müssen uns etwas überlegen«, begann er mit ernster Stimme. »Es haben schon wieder drei Arbeiter gekündigt, um zu ihren Familien zurückzukehren. Wenn das so weitergeht, geraten wir womöglich in Schwierigkeiten.« Jean lehnte sich zurück undverschränkte die Arme vor der Brust. »Ich glaube nicht, dass wir so schnell neue Arbeiter anwerben können«, fuhr er sichtlich bedrückt fort. »Jetzt, da sie selber entscheiden können, sind manche Möglichkeiten einfach interessanter. Ich kann verstehen, dass sie nach so langer Zeit den Drang verspüren, ihre weitversprengten Familien zusammenzuführen, sich keinem Herrn unterordnen zu müssen, oder dass die Arbeit in der Stadt oder auch die Goldsuche sie lockt, wo sie vielleicht sogar mehr Geld verdienen können als mit den Mindestlöhnen auf den Plantagen.«
    Er brach ab und warf ihr einen Blick zu, in dem Julie so etwas wie Hilflosigkeit zu erkennen meinte. Ein Ausdruck, den sie bei Jean nicht allzu häufig gesehen hatte, doch sie musste sich eingestehen, dass sie genauso empfand. Dies waren keine guten Neuigkeiten. Sie seufzte.
    »Ja, dabei rennen sie doch gerade dort in ihr Unglück. Hier können wir ihnen eine sichere Arbeitsstelle und ein festes Gehalt bieten, das gibt es auch nicht überall. Man hört so viele schlimme Dinge, und die wachsenden Armenviertel am Rande der Stadt sprechen doch Bände!« Dieses Thema brachte Julie wie so oft in Rage. Sie hatten häufig über die vielen verstreuten Armensiedlungen gesprochen, die sich im Laufe der letzten drei Jahre gebildet hatten. Das Ende der zehnjährigen Vertragspflicht hatte vielen der ehemaligen Sklaven nicht nur Segen gebracht. Solange ein ehemaliger Sklave gesund und kräftig genug war, um einen Vertrag mit einer Plantage abzuschließen, war alles in Ordnung. An den vielen Alten, Kranken und Schwachen aber hatte die Kolonialverwaltung kein Interesse. War früher ein Plantagenbesitzer dazu verpflichtet gewesen, die Sklavenfamilien zusammenzuhalten und nicht mehr arbeitsfähige Menschen in den Sklavendörfern mitzuversorgen, setzte man Letztere in den vergangenen Jahren vermehrt einfach vor die Tür. Hinzu kam nun seit drei Jahren, dass zahlreiche ehemalige Arbeiter ihr Glück lieber selbst in die Hand nahmen, als sich von einem Weißen auf einer Plantage unterjochen zu lassen. Zwar versprach man diesen freien Menschen neues Land und die Möglichkeit der Ansiedlung; aus welchen Töpfen man zukünftig und langfristig die Mittel für ein solches, in Julies Augen schöngeredetes Projekt schöpfen wollte, das wusste allerdings keiner der weißen Obrigkeit. «Da hält man die Menschen mit Hoffnung an der Leine«, pflegte Julie zu sagen. Sie wusste, dass Jean dieses Thema ebenso echauffierte wie sie selbst. Jetzt runzelte er die Stirn und strich sich eine verirrte blonde Haarsträhne hinter das Ohr.
    Julie betrachtete ihn liebevoll. Er trug seine Haare, im Gegensatz zur europäischen Mode, eher kurz und verzichtete, vornehmlich durch das Klima bedingt, auch auf einen Bart. Julie
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