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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam
Autoren: Linda Belago
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war nicht böse darum, im Gegenteil, sie mochte sein auffallend jugendliches Aussehen und hatte ihn schon das eine und andere Mal damit geneckt. Jean ging stets auf die Spielerei ein und hob dann zumeist gespielt erbost den Zeigefinger, schalt sie der Eitelkeit oder Ähnlichem, Julie aber kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er ihre Bemerkungen als Kompliment auffasste. Jean war gewiss nicht eitel, auch wenn er sich seiner Anziehungskraft auf Frauen sicherlich bewusst war. Dennoch konnte Julie sich sicher sein, dass er nie in fremden Teichen fischen würde. Jetzt jedoch lag Jeans Stirn in tiefen Falten, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er zutiefst besorgt war. Das Thema Arbeitskräfte verlangte eine Entscheidung.
    Julie nahm sich die Liste der Angestellten, die Jean eben noch bearbeitet hatte, oben vom Stapel. Einhundertsechsundfünfzig Namen standen darauf. Einhundertfünfzig war die entscheidende Zahl; so viele Arbeiter brauchten sie mindestens, um den Betrieb der Zuckerrohrplantage zu gewährleisten, unvorhergesehene Ausfälle aufgrund von Krankheiten nicht mitbedacht. Optimal waren rund zweihundert Arbeiter. Julie seufzte. Sie wusste sehr wohl, was das bedeutete, diese Ziffern waren weit mehr als schwarze Zahlen auf weißem Papier: In Surinam standen die Zeichen seit dreizehn Jahren auf Veränderung – und nun erreichte die Welle auch Rozenburg.
    Julie und Jean hatten sich damals, als die Sklavenhaltung aufgehoben wurde, zur Weiterführung der Plantage entschieden. Anders als viele andere Besitzer, fürchteten sie keine Aufstände oder Übergriffe, sondern boten den ehemaligen Sklaven Arbeitsverträge an, die fast alle, sehr zu ihrer Freude, dankend annahmen. Sie trieben die Plantage gemeinsam weiter voran und hatten auch die Änderungen vor drei Jahren weitestgehend ohne Verluste überstanden. Julie und Jean waren mit ihren ehemaligen Sklaven immer gut zurecht gekommen – zu gut, wie man ihnen gegenüber häufiger zu bedenken gab. Sogar mit den Maroons standen sie in Kontakt, diesen ehemals aufständischen Buschnegern, die schon lange ein freies Leben in den Tiefen der Wälder führten, und bei deren Anblick so mancher Kolonist eher sofort zur Waffe gegriffen hätte, als sich mit ihnen gut zu stellen.
    Mittlerweile hatten die Maroons im Zuge der Sklavenemanzipation neues Selbstbewusstsein erlangt und bewegten sich inzwischen in der Hauptstadt ganz selbstverständlich als Handeltreibende. Die Gesellschaft bekam eine völlig neue Ordnung. Die zahlreichen freien Arbeiter drängten in sämtliche Berufsgruppen und Handelszweige in dem Versuch, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Viele alteingesessene Kolonisten bangten um ihre vorherrschende Stellung in der Kolonie und taten es ihren Gesinnungsgenossen gleich, die vor dreizehn Jahren schon nach Europa oder Nordamerika geflüchtet waren. Man munkelte, dass es insgesamt überhaupt nur noch knapp tausend Europäer im Land gab, denen über fünfzigtausend ehemalige Sklaven, freie Schwarze, Mulatten, Chinesen und befriedete Indianer gegenüberstanden.
    Julie hatte in letzter Zeit immer wieder gehört, dass Plantagen aufgegeben wurden. Glaubte man den neuesten Zahlen der Kolonialverwaltung, so gab es noch knapp einhundertfünfzig größereKakao- und Zuckerrohrplantagen, kleinere Pflanzungen, die im Laufe der letzten drei Jahre von freien Mulatten und Schwarzen übernommen worden waren, nicht mitgerechnet. Überall im Land eroberte sich der Regenwald verlassene, ehemals florierende Pflanzungen zurück. Die Tabak- und Baumwollkulturen waren fast gänzlich verschwunden, der Export nach Europa von ehemals Hunderten Schiffen im Jahr auf wenige Frachtkähne geschrumpft. Und obwohl die Plantagenwirtschaft am Boden lag, holte man nun neue Arbeitskräfte aus Indien ins Land, in dem verzweifelten Versuch, den großen Bedarf an billigen Arbeitskräften zu decken. Die ehemaligen Sklaven stellten heute Forderungen, die in Julies Augen zwar gerechtfertigt waren, die Kassen der Plantagen jedoch zusätzlich belasteten, und so manche Plantage in den Ruin trieben. Sie selbst versuchten natürlich, den Arbeitern ihre Löhne zu zahlen, aber es war eine ewige Gratwanderung. Es musste etwas passieren. Auch auf Rozenburg.
    Julie legte das Papier mit den Namen beiseite. »Ja, du hast recht. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, sonst haben wir bald nicht mehr genug Arbeiter.« Sie wusste um Jeans Bemühungen, die Arbeiter zu halten und neue anzuwerben. Sie hatte dennoch gehofft,
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