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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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wissen schon, umzubringen?«
    Der Chief hörte auf zu lächeln. »Ich werde es als Unfall bezeichnen. Sie ist eine alte Frau, die in der prallen Sonne gearbeitet hat, immer hoch und runter … es ist kein Wunder, dass sie ein wenig durcheinander war. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn sind vor kurzem zurück in die Gegend gezogen. Ich werde mit ihnen reden. Vielleicht können wir Mrs. Ketchem davon überzeugen, dass es an der Zeit ist, ihr Haus aufzugeben und zu ihnen zu ziehen.«
    »Aber sie war nicht durcheinander. Sie ging ins Wasser, so wie unsereins aufs Männerklo geht. Sie wusste genau, was sie tat.«
    Chief Liddle sah ihn auf eine Weise an, die ihn näher treten ließ. »Versuchter Selbstmord ist eine Straftat, Russell. Es könnte zu einer Anhörung kommen und zur Einweisung in die Psychiatrie. Und ich bin nicht der Ansicht, dass sie das durchmachen sollte, solange sie eine Familie hat, die sich um sie kümmern kann, oder?«
    »Aber was, wenn sie … ich weiß nicht, krank im Kopf ist oder so?«
    Liddle schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht übergeschnappt. Sie ist einfach alt und müde. Sogar ihre Sorgen sind älter als die meisten Leute, die heutzutage um sie herum sind. Manchmal legt sich das Gewicht eines ganzen Lebens auf einen Menschen und erdrückt ihn irgendwie.«
    Wenn es das war, was das Alter mit sich brachte, würde Russ lieber jung mit Glanz und Gloria abtreten. Seine Gefühle mussten sich in seiner Miene gespiegelt haben, denn der Chief lächelte ihn wieder an. »Aber das ist nichts, worüber du dir Gedanken machen musst.« Er schüttelte ihm noch einmal die Hand. »Geh rüber zu deinem Freund. Sieht aus, als wenn er mit seinem Telefongespräch fertig wäre. Und zieh den Kopf ein, wenn du drüben bist. Wir wollen, dass du heil wieder nach Hause kommst.«
    Und das war das Ende dieses Abenteuers. Zumindest fürs Erste. In der Nacht weckte er seine Mutter, weil ihn der erste Albtraum, an den er sich seit seinem zehnten Lebensjahr erinnern konnte, aufschreien ließ. Selbst nachdem er wach durch die Albträume von zu Brei geschossenen Männern und aus dem Himmel stürzenden Hubschraubern gegangen war, erinnerte er sich in späteren Jahren manchmal an das Gefühl, in dem kalten, düsteren Wasser zu versinken. Das bleiche, verhutzelte Gesicht. Die schwarzen, schwarzen Augen. Und er schauderte.

2 Aschermittwoch, 8. März, Tag der Buße
    D ie Pastorin der Episkopalkirche St. Alban’s, von Millers Kill, Diözese Albany, breitete ihre Arme in einer klassischen Willkommensgeste aus. Ihr scharlachrotes, golden eingefasstes Messgewand öffnete sich wie reuige Flügel. »Deshalb lade ich euch ein im Namen der Kirche zur Einhaltung der heiligen Fastenzeit«, sagte sie, »durch Selbsterforschung und Reue; durch Gebete, Fasten und Selbstverleugnung; durch Meditation und das Lesen in Gottes Heiliger Schrift.« Ihre Stimme hallte von den steinernen Wänden der Kirche wider und wurde von den Nischen und Ecken geschluckt, die das antiquierte Beleuchtungssystem und der graue Tag im Dunkeln ließ. »Und um unsere Buße richtig zu beginnen, lasst uns als Zeichen unserer Sterblichkeit vor dem Herrn, unserem Schöpfer und Erlöser, niederknien.«
    Sie wandte sich zu dem niedrigen Altar um und kniete nieder. Das Rascheln dicker Wolle ertönte, als die knapp zwanzig Personen, die eine verspätete Ankunft im Büro riskierten, um an der 7-Uhr-Messe teilzunehmen, hinter ihr dasselbe taten. Tiefe, düstere Stille umfing sie, während sie über die ernüchternde Vorstellung ihrer Sterblichkeit nachsannen. Zumindest hoffte Clare, dass sie darüber nachsannen. Einige machten sich sicherlich Gedanken über den bevorstehenden Sturm, der Schnee und überfrierende Nässe versprach, während andere darüber nachdachten, was sie bei der Arbeit erwartete oder dass ihre Knie schmerzten. In der Fastenzeit kniete man häufig. Es war hart für die Knie.
    Clare erhob sich. Sie ergriff die silberne Schale mit der Asche und drehte sich zur Gemeinde. Sie barg die Schale zwischen ihren Händen. »Allmächtiger Gott, du hast uns aus dem Staub der Erde erschaffen; gewähre, dass diese Asche für uns ein Zeichen unserer Sterblichkeit und Buße sei, dass wir uns erinnern, dass wir es nur deiner kostbaren Gabe verdanken, dass uns das ewige Leben geschenkt wurde; durch Jesus Christus, unseren Retter.« Sie erwiderten im Chor: »Amen.«
    Sie nickte Willem Ellis zu, der fröhlich eingewilligt hatte, in der Frühmesse den Messdiener zu spielen, wenn ihm
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