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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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funkelte Shaun an, der sehnsüchtig auf den Ausgang starrte. »Denk nicht mal dran, abzuhauen, junger Mann.«
    Zwei Schwestern, kaum älter als Shaun und Russ, rollten eine Pritsche herüber. Eine von ihnen warf Russ einen mitleidigen Blick zu. Das Schlachtschiff ließ seine Schulter los, um die alte Dame auf die Trage zu betten.
    »In den Untersuchungsraum«, wies sie die anderen Schwestern an. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie ihr gehorchten, nahm Russ an, dass sie jeden terrorisierte, mit dem sie zu tun hatte. Sie packte seinen und Shauns Arm und folgte der Trage, zerrte sie am Empfangsschalter vorbei und durch die Schwingtüren in den Untersuchungsraum.
    Sie durchbrach das Rechteck schlaffer blauer Vorhänge, die die alte Frau vor den Blicken der Öffentlichkeit abschirmten. »Holt Dr. Hansvoort«, kommandierte sie. Eine der jungen Schwestern verschwand. »Nun, stehen Sie nicht einfach so rum«, fuhr sie die verbleibende Schwester an. »Messen Sie ihren Blutdruck. Ah, Dr. Hansvoort. Danke, dass Sie so rasch gekommen sind.«
    Der junge Assistenzarzt, der durch den Vorhang trat, wirkte, als hätte er nicht gewagt, sich Zeit zu lassen. »Schwester Vigue?«
    Sie schüttelte Russ’ und Shauns Arme. »In Ordnung, ihr zwei. Erzählt Dr. Hansvoort, was passiert ist.« Ihre Augen wurden zu Schlitzen. »Die Wahrheit.«
    Russ und Shaun überschlugen sich in dem Versuch, ihre Geschichte loszuwerden. Während sie das seltsame Verhalten der Frau, Russ’ Sprung zu ihrer Rettung und die Mund-zu-Mund-Beatmung beschrieben, schaltete Dr. Hansvoort eine Stiftlampe an und sah der Patientin in Augen, Nase und Hals.
    Nachdem sie ihren Vortrag beendet hatten – Shauns letzter Kommentar lautete »… und jetzt würden wir bitte gerne gehen« –, runzelte der Arzt die Stirn.
    »Versuchter Selbstmord«, sagte er zu Schwester Vigue. »Oder vielleicht Altersdemenz. Sie sollten lieber die Polizei informieren.«
    »Ganz meine Meinung«, erwiderte sie und nickte beifällig zur Darbietung des Arztes. Sie bemächtigte sich erneut Russ’ und Shauns und segelte mit ihnen zurück durch die Schwingtüren ins Wartezimmer. »Ihr Jungs setzt euch hierhin. Die Polizei wird euch zu diesem Vorfall einige Fragen stellen wollen.«
    Und falls nicht, dachte Russ, wird sie ihnen mit Sicherheit sagen, dass sie es tun sollte.
    »Aber«, begann Shaun.
    »Setzen.« Sie zog eine dünn gezupfte Augenbraue hoch und schien ein wenig weicher zu werden. »Wir haben ziemlich viele Zeitschriften für Jungs hier. Ich bin sicher, dass ihr Spaß damit haben werdet.«
    »Setz dich um Gottes willen hin und lies«, murmelte Russ Shaun zu, nahm sich selbst einen Stuhl und schlug das erstbeste Magazin auf.
    Zwei Ausgaben von Popular Mechanics später öffneten sich die Türen der Notaufnahme und Russ erblickte das wettergegerbte Gesicht von Chief Liddle. Er war weder groß noch furchteinflößend – tatsächlich sah er eher wie ein Farmer als wie ein Polizist aus –, aber beide Jungen sanken in ihren Sitzen zurück, als sein Blick sie streifte.
    Der Chief sprach kurz mit Schwester Vigue und verschwand dann im Untersuchungsraum. »Jetzt bist du dran«, flüsterte Shaun. »Er hat uns auf dem Kieker, seit wir damals auf der Müllhalde die Reifen angesteckt haben.«
    Russ schüttelte den Kopf. »Ich hab keine Angst vor ihm«, sagte er, und das stimmte. Er hatte den Polizeichef ein paarmal zu oft gesehen, damals, vor dem Tod seines Vaters, wenn er den verwirrten und rührseligen Walter Van Alstyne zur Haustür und ins Wohnzimmer geführt hatte. Der Polizist sagte immer dasselbe: »Er hat ein bisschen zu viel, Margy. Ich schätze, er muss seinen Rausch ausschlafen.« Dann blickte er Russ’ Mutter eindringlich an und fragte: »Kommst du mit ihm zurecht, wenn er in diesem Zustand ist?«
    Und sie gab sich forsch und tüchtig und versicherte ihm, dass es keine Probleme geben würde, und dann verfrachteten sie Dad ins Bett, und sie versuchte dem Chief einen Kaffee aufzudrängen, den dieser gewöhnlich ablehnte.
    Erst nach dem Tod seines Vaters begriff Russ, was der Chief seine Mutter wirklich gefragt hatte, und es erboste ihn, dass irgendjemand annehmen konnte, sein sanfter, freundlicher Vater würde seiner Mutter jemals etwas antun. Aber später dachte er daran, wie der Chief immer so getan hatte, als wäre Walter Van Alstynes Rausch eine einmalige Angelegenheit, und wie sehr er darauf bedacht gewesen war, den Stolz seiner Mutter nicht zu verletzen. Und ihm wurde bewusst,
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