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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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dieser so neuen und anderen Welt machen können.«
    Es folgte mehr, viel mehr, drei Menschen wurden getauft, und jeder gelobte, dem Bösen zu widerstehen, und dann zogen die Assistenten in weißen Gewändern die schwarzen Tücher herunter, die das Kreuz am Altar verhüllt hatten, und alle riefen: »Hallelujah!«, als wäre es eine große Party. Die Dame rechts von ihm hatte Mitleid und reichte ihm ein aufgeschlagenes Buch, zeigte ihm, an welcher Stelle des Gottesdienstes sie sich befanden, und ihm wurde klar, dass die Menge die Worte gar nicht auswendig kannte, sondern alle aus dem gleichen Buch lasen.
    Er ging nicht zur Kommunion. Er blieb stehen, als der Rest seiner Bank sich an ihm vorbeischob, und kniete zum Gebet, als sie es taten, und erhob sich, als Clare rief: »Geht in Frieden! Liebt und dient dem Herrn! Hallelujah!« Dann wartete er, während die Menschen um ihn herum einander umarmten und über ihre Pläne für den Ostersonntag schwatzten und zu zweit oder zu dritt hinausgingen.
    Schließlich waren nur noch sie beide da. Er blieb sitzen, während sie den schweren Satinumhang abstreifte, den sie vor der Eucharistie angelegt hatte, ihn faltete und über das Altargitter hängte. Er blieb sitzen, und sie ging in aller Ruhe durch das Kirchenschiff und glitt neben ihn in die Bank, als wäre ein Treffen mit ihm nach Mitternacht in ihrer Kirche ein Teil der üblichen Routine.
    Dann bemerkte er ihre Hände, die halb von ihrem weißleinenen Gewand verdeckt wurden. Sie zitterten. »So. Wie findest du die Ostervigil?«, fragte sie.
    »Schön. Lang, aber schön.«
    Einen Moment saßen sie einfach da. Dann sagte sie: »Du hast Interesse daran, deinen Glauben zu entwickeln?«
    »Das klingt wie etwas, das sie einem in den Monatszeitschriften für Geistliche beibringen.«
    »Stimmt. Na ja. Man kann ja schlecht jemanden fragen, was er in der eigenen Kirche will.«
    »Ich wollte dich sehen. Um zu reden.«
    »Ich dachte, mit dem Brief wäre alles geklärt.«
    »Weißt du, was mich an dieser höflichen Epistel echt zum Wahnsinn getrieben hat? Du hast mit ›In Liebe, Clare‹ unterschrieben.«
    Sie senkte den Blick auf ihren Schoß. »Das ist eine übliche Abschiedsformel.«
    »Klar. Stimmt.«
    Sie funkelte ihn an. »Du bist ein Mann, der seine Frau liebt, Russ.«
    Er zeigte auf den Altar. »Und du bist eine Frau, die ihren Boss liebt.«
    Sie sah ihn verständnislos an, dann lachte sie auf. »Ich schätze, da hast du recht.«
    Er drehte sich zu ihr und sah ihr fest ins Gesicht. »Ich liebe dich, Clare.«
    Ihr Lachen erstarb. Ihre Augen wurden groß. »Ich kann nicht glauben, dass du das gesagt hast.«
    Er ließ nicht locker. »Und du liebst mich auch.« Sie presste die Hände auf den Mund. Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst das nicht ungeschehen machen, indem du mir einen Brief schreibst. Hast du deine Predigt gehört? Ich schon. Du kannst dich nicht wieder abtöten, wenn du einmal zum Leben erwacht bist. Deshalb hast du Angst. Weiß Gott, ich auch. Aber wie du gesagt hast. Wir müssen mutig sein.«
    Sie beugte sich schwer atmend nach vorn.
    »Clare?« Er versuchte ihr ins Gesicht zu sehen. »Clare? Du wirst doch nicht ohnmächtig, oder?«
    Sie lachte wieder kurz auf. »Nein.« Sie setzte sich gerade hin, atmete tief ein, dann stand sie auf. »Komm mit.«
    Er griff nach dem Stock, auf den er sich stützte, um mit seinem Gips gehen zu können, und folgte ihr den Gang entlang, zu einer Stelle, an der die Bänke entfernt worden waren. An den Wasserschäden erkannte er, dass hier das Dach nachgegeben hatte.
    »Das ist das Fenster, das Mrs. Marshall zum Gedenken an ihre Mutter gestiftet hat. Nachts kann man es nur schlecht sehen, aber du kannst erkennen, um was es geht.«
    Er betrachtete es.
    »Ich habe viel über die Ketchems nachgedacht. Was bei ihnen schiefgelaufen ist und bei Allan Rouse. Ich glaube, sie alle sahen etwas, das sie haben wollten, etwas, das sie in Versuchung führte, und sie sagten sich: ›Ich habe es verdient.‹« Sie schaute zu ihm hoch. »Ich will nicht denselben Fehler machen.«
    Er streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. »Ich versuche nicht, dich zu einer … Affäre zu überreden. Ich will meinem Gelübde nicht untreu werden.«
    Sie lächelte, ein dünnes, schiefes Lächeln. »Ich auch nicht.«
    »Etwas in mir hat dich erkannt. Von Anfang an. Der Teil von mir, der immer einsam gewesen ist, der Teil von mir, den ich versteckt habe, außer Sichtweite – ich habe erkannt, dass es bei dir genauso
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