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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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unbehaglich zumute wurde. »Nimm es mit«, sagte er. »Oder versteck es. Die Frau braucht Hilfe. Wir müssen sie zum Arzt bringen.«
    »Oh, Scheiße«, sagte Shaun. »Okay.« Er marschierte zum Ruderboot und griff nach dem Rucksack, in dem er seine Habseligkeiten mit sich zu tragen pflegte. »Aber falls dem Boot was passiert, wirst du es meinem Dad erklären.«
    Russ lachte, ein kurzes, scharfes Geräusch. »Prima. Ich werde mich aus dem Staub machen, bevor er mir in den Hintern treten kann.«
    Sie verschränkten die Hände und hoben die Frau behutsam im Tragesitz hoch. Nun, da sich ihr Gewicht auf zwei Schultern verteilte, wog sie nicht viel mehr als manche der Tüten, die Russ in Greulings Lebensmittelladen für die Kunden schleppte. Der Pfad zur Landstraße war nicht mal eine halbe Meile lang, und innerhalb von zehn Minuten traten sie aus dem Schatten der Kiefern in den gleißenden Sonnenschein. Shaun wies mit dem Kopf zu einem Rambler Wagon. Zweifarbig: babykackegelb und bräsigbraun. Russ öffnete die Tür zur Rückbank und schloss einen Moment die Augen gegen die schweren, feuchten Hitzeschwaden, die aus dem Wagen strömten.
    »Wo sollen wir sie hinpacken?«, fragte Shaun.
    »Leg sie auf die Rückbank.« Russ suchte im Heck nach einer Decke oder einem Mantel zum Unterlegen, aber dort fand sich nichts außer weiteren Gartengeräten.
    Sie betteten die Frau auf die klebrigen Kunststoffsitze. Sie wirkte klamm und bleicher als zuvor. Russ hatte plötzlich die Vision, wie er und Shaun in einem überhitzten Omaauto in die Stadt einfuhren, eine Leiche auf der Rückbank. Er schauderte.
    »Alles in Ordnung?«
    »Klar, sicher. Willst du fahren?«
    Shaun hob die Hände. »Auf gar keinen Fall, Mann. Wenn sie uns anhalten, will ich nicht, dass die Bullen mir zu nahe kommen.« Er schnüffelte an seinem Hemd. »Riecht man es noch?«
    Russ verdrehte die Augen. »Du weißt, dass der Stoff gut war, wenn du paranoid wirst.« Er glitt auf den Fahrersitz und passte die Rückenlehne seinen langen Beinen an. »Spring rein.«
    Die Fahrt nach Millers Kill verlief schweigend. Russ konzentrierte sich darauf, so schnell wie möglich zu fahren. Shaun war angespannt, zischte durch die Zähne, wenn Russ eine Kurve zu eng nahm, klammerte sich an den Sitz, wenn ein anderer Wagen sie überholte. Und von hinten kam – nichts. Russ konnte die alte Dame nicht einmal atmen hören. Als sie aus dem Wald hinunter ins hügelige Ackerland gelangten, begannen sich seine Nackenhärchen aufzustellen. Er konnte die Vorstellung nicht abschütteln, dass er sie, würde er sich umdrehen, dort liegen sehen würde, nass, ohne zu atmen, die schwarzen Augen auf ihn gerichtet. Er war dankbar, als sie die Stadt erreichten und er sich auf den dichten Verkehr konzentrieren musste.
    Er fuhr auf den Parkplatz der Notaufnahme des Washington County Hospital und schaltete den Motor ab. Shaun sah ihn an. »Und?«, sagte er. »Bringen wir sie rein.«
    Russ zwang sich, sich im Sitz umzudrehen und nach hinten zu schauen. Und natürlich sah er nichts außer einer bewusstlosen alten Dame. Seine Schultern zuckten, als die Anspannung abrupt nachließ. »Klar«, sagte er zu Shaun.
    Wäre er weniger verschreckt und mehr Herr der Lage gewesen, wäre er in die Notaufnahme gegangen und hätte ein paar Schwestern geholt, um die alte Dame hineinzurollen. Später fiel es ihm ein, aber zu dem Zeitpunkt schien es naheliegend, sie einfach aus dem Rambler zu ziehen. Er nahm ihre Beine und Shaun die Schultern. Er war so darauf bedacht, einen Zusammenstoß beim Rückwärtsgehen zu vermeiden, dass er den Aufruhr nicht bemerkte, den ihre Ankunft verursachte. Shaun jedoch tat es und ließ die Frau beinahe fallen.
    »Um Himmels willen, Shaun, pass …«
    »Was macht ihr Jungs da?« Die Schwester, die auf sie zusteuerte, hatte einen Busen wie der Bug eines Schlachtschiffs und ein dazu passendes Gesicht. In einer geschmeidigen Bewegung ergriff sie sanft das Handgelenk der alten Frau und grub die andere Hand knochentief in Russ’ Schulter.
    »Autsch!«, schrie er. »Wir machen gar nichts.«
    »Ist das deine Großmutter?«
    »Ich weiß nicht, wer sie ist! Wir haben sie bloß gefunden. Am Stewart’s Pond. Sie ist ins Wasser gegangen. Sie hat versucht, sich zu ertränken.«
    Sie musterte ihn mit einem einzigen Wimpernschlag, und obwohl sie ihm kaum bis zur Brust reichte, brachte sie es irgendwie fertig, über seinen Kopf hinweg zu sprechen. »Skelly, McClaren, bringen Sie eine Trage hier rüber.« Sie
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