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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren
Autoren: Boris Akunin
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Hause.«
    Er ging hinter ihr her durch den Flur, wobei er sich bemühte, möglichst kurze Schritte zu machen, und dachte, was in dem Schreiben von Cornelius wohl für ein Wort gestanden haben mochte? Das Einzige, das nicht erhalten war. »Schiebe das Buch weg und . . .«
    Schiebe weg – und was?
    Anlage:
    Limerick, verfasst von N. Fandorin zwei Monate später, am Tage der Eheschließung:
    Um pünktlich ins Warme zu fliegen,
Gen Süden die Zugvögel ziehen.
Ich bin doch keine Gans!
Ganz mannhaft halt ich stand!
Wer kann mich denn zwingen, ins Ausland zu fliehen?!

SECHZEHNTES KAPITEL
    Auch ein alter Hase hat nicht immer die richtige
Nase. Ein Sack Gold. Amour impossible oder Sonne
im Sumpf. Die Geburtsstunde der
russischen Fandorins. Schiebe weg und. . .
    Nicht umsonst hatte von Dorn das gute Pferd im Galopp durch die dunklen Straßen gejagt, nicht umsonst hatte er den edlen Turkmenen mit Sporen und Peitsche gequält. Er kam gerade rechtzeitig zum Wecken in der Kaserne an und prüfte höchstpersönlich die Bereitschaft jedes einzelnen Musketiers. Um halb fünf hatten sich die vier Pelotons, d.h. sämtliche hundertvierundzwanzig Mann, auf dem Hof im Quadrat aufgestellt. Im Schein der Fackeln glänzten die gerippten Helme und die Klingen der Hellebarden. Cornelius beschloss, heute lieber ohne Musketen die Wache anzutreten. Denn egal, wie die Angelegenheit sich entwickeln würde, im Kreml durfte nicht geschossen werden; dass man die Hellebarden würde einsetzen müssen, konnte dagegen durchaus sein.
    Ihr Frühstück, das heiße Honiggetränk und zwei Piroggen, nahmen die Soldaten zu sich, ohne aus der Formation herauszutreten, denn der Eilbote konnte jede Minute angelaufen kommen. Sie standen eine Stunde so und fingen an zu frieren. Von Dorn entließ zwei Pelotons, damit sie sich aufwärmten. Nach einer Viertelstunde ließ er sie in den Hof zurückkehren und schickte die beiden anderen Pelotons sich aufwärmen. Er selbst spürte die Kälte nicht, er stand ja nicht an ein und derselben Stelle, sondern schritt im Hof umher. Je länger es dauerte, desto besorgter wurde er. Da konnte etwas nicht stimmen.
    Um sieben Uhr hielt er es nicht mehr aus und ging zum Hof des Bojaren, um zu erfahren, was los war. Der Kanzler konnte doch wohl nicht das große Werk verschlafen haben?
    Nein, Artamon Sergejewitsch schlief nicht. Der Hauptmann traf ihn im Arbeitszimmer an, wo Matfejew und Iwan Artamonowitsch, beide in kostbar verzierten Kaftanen, unter denen die Kettenhemden klirrten, am Tisch saßen und ein, ihren Gesichtern nach zu schließen, nicht gerade einfaches Gespräch führten.
    »Ach du, Hauptmann«, sagte der Bojar und wandte sich dem zur Tür hereinkommenden von Dorn zu. »Ich habe dich ganz vergessen, sei nicht böse. Für heute ist der Dienst abgesagt. Gib deinen Soldaten frei. Danach komm wieder her, ich muss mit dir sprechen.«
    Irritiert kehrte Cornelius zu seiner Kompanie zurück und befahl allen, in die Kaserne zu gehen, aber für alle Fälle noch nach Pelotons getrennt beieinander zu bleiben. Was, wenn der Bojar es sich nun anders überlegte?
    Als er in den Palast zurückkehrte, war Artamon Sergejewitsch schon allein.
    Er sagte kurz und mürrisch:
    »Meine Feinde haben in der Nacht die Duma ohne mich versammelt. Noch bevor der Körper des Herrschers hergerichtet war. Taissi, dieser lateinische Köter, hat, statt für den Entschlafenen zu beten, heimlich Eilboten zu den Bojaren in der Nähe geschickt. Wassili Galizki und Sofja hatten mit einem jeden gesprochen. Dem einen hatten sie geschmeichelt, dem anderen hatten sie Angst eingejagt. Viele, die ich für meine Verbündeten hielt, sind übergelaufen. Und das ist auch verständlich: eine schwache Macht ist den Bojaren lieber als eine starke. Unter meiner Herrschaft, das wäre für sie kein Honigschlecken gewesen . . . Jetzt ist alles entschieden. Sie haben Fjodor zum Zaren ausgerufen. Haber beschlossen, mir das große Siegel abzunehmen sowie die Strelitzenverwaltung, den Malorossiski Prikas, also die Verwaltung der Ukraine, und das Apotheken-Amt – Letzteres wahrscheinlich damit ich den Zaren nicht vergifte oder mit einem Zauberelixier bewirte«, bei diesen Worten lachte Matfejew bitter. »Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten haben sie mir vorläufig gelassen. In einem Monat oder höchstens zwei werden sie mir auch das nehmen. Sie werden mich als Heerführer in irgendein gottverlassenes Provinznest vom Typ Zarewokokschaisk schicken, um mir weit entfernt von
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