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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren
Autoren: Boris Akunin
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scheißegal.«
    Joseph Guramowitsch lächelte zuckersüß, und als Nicholas in das rundliche, nach Bulldoggenart gefältelte Gesicht des Bankiers blickte, konnte er nicht umhin, so etwas wie Rührung zu empfinden. Es war eine gute Idee des weisen Chefredakteurs der Illustrierten »Teleskop«, ein Sonderheft zum Prozess der Zivilisation im russischen Business zu machen. Welche für das Ohr des Westmenschen sakrosankten Worte: Rechtsanwälte, Notwehr, Waffenschein! Nichts, was an Ausdrücke wie »kaltmachen«, »in den Asphalt bügeln«, »auf die Stoßstange schmieren« erinnerte. Altyn konnte stolz sein auf ihren »Musterknaben«.
    »So ist das jetzt bei uns, Nikolai Alexandrowitsch«, sagte der Große Sosso bescheiden, als könne er Gedanken lesen. »Wir lösen alle Probleme kultiviert, auf gesetzlichem Wege. Die Zeit der Piraten à la Sedoi geht zu Ende. In drei, vier Jahren wird es sie nicht mehr geben.«
    »Und dem Staat einen Schatz vorenthalten, der ihm gehört, ist das auch legal?«, fragte Nicholas aggressiv.
    Joseph Guramowitsch blies schmollend die Lippen auf.
    »Hören Sie mal, es geht nicht alles auf einmal. Gestern haben wir noch auf den Bäumen gesessen und uns gegenseitig aufgefressen, und da wollen Sie, dass wir schon heute nicht mehr bei Rot über die Straße gehen. Das geht nur Schritt für Schritt, allmählich. Auf dem Wege einer Evolution. Ein bisschen schummeln gehört dazu, das ist doch menschlich. Aber sich gegenseitig massakrieren, und dann auch noch wegen nichts und wieder nichts, das ist wirklich überholt. Ich massakriere dich, und dann massakrierst du mich oder meinen Sohn? Ja, ach so!« Gabunija wurde lebhafter und stürmte aus irgendeinem Grund zum Wandschrank. »Ich habe eine große Neuigkeit! Meine Sabrina erwartet ein Kind, das hat sie mir gesagt. Ich bin zweiundfünfzig und dachte schon, ich würde nie Kinder haben! Stellen Sie sich einmal vor, da stehe ich nun vor ihr, ich Idiot, und murmele nur ›Mein Kind, mein Kind!‹, und sie, dieses Biest, lacht nur und sagt: ›Quäl dich ruhig, vielleicht ist es ja gar nicht deins!‹ Ich habe mich gequält, Nikolai Alexandrowitsch, och, wie ich mich gequält habe! Ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen und mir die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, von wem das Kind wohl ist. Früher hätte ich mich natürlich noch mehr gequält, während ich jetzt nur ein bisschen verstimmt war, dann zwei Stück Torte gegessen habe und eingeschlafen bin. Das liegt daran, dass Sie mir alles, was mich betrifft, erklärt haben. Sabrina und ich, wir sind ein ideales Paar. Jetzt bin ich eifersüchtig und leide, doch mir ist warm ums Herz, und das tut mir gut. Ich danke Ihnen. Lassen Sie uns auf die Liebe und auf den kleinen Gabunija einen trinken!«
    Und aus dem Wandschränkchen tauchten wie durch ein Wunder eine bauchige Flasche, zwei Gläser und eine Schale mit Pralinen auf.
    »Ich trinke jetzt gar nicht mehr«, sagte Fandorin wortkarg, um seine Freude über die Dankesworte nicht zu deutlich zu zeigen. »Und außerdem möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich auf den Vorschlag, Ihnen den Bucheinband zu verkaufen, nicht eingehen kann. Man muss die Gesetze des Landes, in dem man sich aufhält, achten. Geben Sie mir also den Beschlag zurück, ich will ihn den Vertretern der Stadtbehörde aushändigen. Ich werde nicht darauf bestehen, dass sie mir die Belohnung sofort zahlen. Das geht auch in Raten oder wenn die russische Wirtschaft endlich auf die Beine kommt.«
    Joseph Guramowitsch kaute traurig an einer Praline und seufzte ein paarmal tief.
    »Ach, Nikolai Alexandrowitsch, mein Lieber, ich wollte Ihnen nicht die Laune verderben, aber ich muss es doch tun. Nehmen Sie Ihren Einband, er liegt da im Scanner-Karton. Die Experten sagen, der Beschlag habe historischen Wert; es ist eine Arbeit russischer Meister aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Aber der Materialwert ist unbedeutend. Kein besonders hochwertiges Silber und einige Hundert Steine. Um genau zu sein: sechshundertsechzig. Früher waren es sechs mehr, aber sie sind nicht erhalten, nur die leeren Einfassungen sind da. Gelbe Saphire und Opale sind nicht darunter. Streng genommen, sind es gar keine Steine, sondern geschliffene Stückchen vulkanischen Glases. Das hielt man im mittelalterlichen Russland wohl für eine große Seltenheit. Aber heute ist halb Kamtschatka voll davon. Sedoi hat uns umsonst diese schöne Suppe eingebrockt.«
    »Na gut«, sagte Fandorin, nicht sonderlich verstimmt. »Dann gebe ich
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