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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren
Autoren: Boris Akunin
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Alexandrowitsch Fandorin, für Sie ist es subjektiv besser hier. Und ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas Wichtiges sagen.« Wieder hob Sosso einen Finger. »Alles Objektive ist keine Kopeke wert, Bedeutung hat nur das Subjektive. In England werden Sie versauern, lieber Nikolai Alexandrowitsch, Ihre Begabung ist da nicht gefragt. Wo wollen Sie den Leuten Ratschläge geben, wenn nicht hier, bei uns in Russland? Wofür heißen wir denn das ›Land der Räte‹? Und nach diesen lyrischen Ergüssen will ich nun zum Praktischen kommen.« Joseph Guramowitsch schob die Schale mit den Pralinen beiseite, als wolle er zu verstehen geben, dass das Gespräch nun einen offiziellen Charakter annimmt. »Lassen Sie uns eine ganz neue Art von Consulting-Firma gründen, an die sich jeder Mensch, wenn er in einer schwierigen Situation ist, mit der Bitte um Rat wenden kann und wo er Hilfe bekommt. Ich habe mir sogar schon einen Namen ausgedacht: ›Zauberstab‹. Aber es ginge auch auf Englisch: ›Magic wand‹. Ich miete für Sie ein Büro, richte es Ihnen ein mit Computer, Fax und allem Pipapo, sorge für Reklame, und das Wichtigste: Ich verschaffe Ihnen Kunden, ganz solide Leute. Die Einnahmen teilen wir, einverstanden?«
    »Sie sind verrückt geworden!«, rief Nicholas, der erst jetzt begriff, dass der Bankier das ernst meinte. »Was soll der Unsinn?«
    »Okay.« Gabunija hob beruhigend die Hände. »Dann 65 Prozent für Sie, 3 5 Prozent für mich, aber nur unter der Bedingung, dass ich fünfzig Prozent Rabatt bekomme, wenn ich selbst einen Rat brauche. Einverstanden?«
    »Nein, ich will aber nicht in Ihrem Russland leben!«, sagte der Magister und rang nach Luft. »Das ist schädlich für Gesundheit und Psyche!«
    »Ach ja, gut, dass Sie mich daran erinnern.« Joseph Guramowitsch schielte ängstlich in Richtung Vorzimmer. »Da sucht eine hysterische Dame nach Ihnen, so eine kleine, aber unheimlich giftige. Eine Jounalistin. Zuerst hat sie angerufen, gedroht und gesagt: ›Ich weiß, dass nur Sie Nick entführt haben können, ein anderer kann es nicht gewesen sein. Wehe, sollten Sie ihm auch nur ein einziges Härchen krümmen, dann bringe ich Sie um‹. Und jetzt belagert sie die Geschäftsräume. Ich habe verboten, sie in die Bank hereinzulassen, aber da hat sie sich mit Handschellen an die Eingangstür gekettet, so dass ich ihr einen Passierschein aushändigen musste, damit sie die Kunden nicht verschreckt. Die Miliz habe ich nicht rufen lassen, es ist ja Ihre Bekannte, da habe ich mich nicht getraut. Jeden Tag setzt sie sich ins Vorzimmer und hockt da von morgens bis abends, mittags isst sie ein Butterbrot. Die Sekretärinnen haben Angst vor ihr. Ich muss schon eine ganze Woche durch den Hintereingang in mein Zimmer. Könnten Sie nicht einmal zu ihr gehen und sie beruhigen? Oder haben auch Sie Angst vor ihr?«
    Nicholas drehte sich wortlos um und wollte gleich ins Vorzimmer rennen, öffnete dann aber vorsichtig die Tür und lugte erst einmal durch den Spalt.
    ***
    Altyn saß in einem Ledersessel, in dem leicht mindestens noch zwei solche Liliputanerinnen Platz gehabt hätten. Die Brauen der Journalistin waren zornig geballt, die Knie unerbittlich geschlossen. Auf dem Boden lag ein kleiner schwarzer Rucksack.
    Hinter den zwei Tischen, auf denen eine Unmenge von Apparaten aufgebaut waren und die unzugänglichen Blockstellen ähnelten, hatten sich zwei Sekretärinnen verschanzt, eine Altere und eine Junge, aber beide sittsam und unglaublich elegant.
    »Ich erkläre Ihnen das zum hundertfünfzigsten Mal«, sagte die Altere, deren Frisur aussah wie ein Platinhelm, mit monotoner Stimme: »Joseph Guramowitsch befindet sich auf einer Dienstreise und wird heute ebenfalls nicht kommen.«
    »Wenn er sich auf einer Dienstreise befände, wüsste ich das«, unterbrach Altyn sie barsch und starrte auf einmal zur Tür des Chefzimmers – sie hatte wohl den Spalt bemerkt.
    Es hatte keinen Sinn mehr, sich zu verstecken.
    Nicholas riss die Tür auf, strahlte über das ganze Gesicht, streckte ihr die Hand entgegen und sagte:
    »Altyn, wie ich mich freue, dich zu sehen! Siehst du, mir ist nichts passiert.«
    Die Journalistin hüpfte wie ein Gummiball aus dem Sessel und stürzte sich auf Fandorin. Für einen solchen Temperamentsausbruch war es sicher zu wenig, ihr die Hand zu schütteln. Nicholas schämte sich seiner britischen Kühle und breitete unterwegs spontan die Arme aus, um sein Däumelinchen an die Brust zu drücken.
    Altyn tat
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