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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren
Autoren: Boris Akunin
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›Liberey‹, glaubte, es bedeute einfach ›Buch‹ und nicht ›Sammlung von Büchern«. Er hatte sich auf irgendeinem Weg – am ehesten bei ebenjenem Artamon Matfejew – einen alten Band mit einem kostbaren Beschlag aus der Sammlung Iwans des Schrecklichen beschafft. So ein Foliant kostete auch im siebzehnten Jahrhundert ein sagenhaftes Geld. Bevor er seinem Vorgesetzten in die Verbannung folgte, hatte von Dorn den wertvollen Gegenstand versteckt, in der Hoffnung, die Verbannung werde nicht ewig dauern und falls sie nicht begnadigt werden sollten, dann würde die ›Liberey Iwans‹ (im Sinne von ›das Buch aus der Bibliothek des Zaren Iwan‹) wenigstens seinem Nachkommen zuteil. Der Hauptmann, der keinen Sinn für Bücher hatte, wusste nicht, dass Papyrus sich ohne hermetischen Verschluss nicht lange in einem Keller hält. Und vermutlich interessierte ihn der Text sowieso nicht, sondern nur der prächtige Beschlag.
    Was bedeuten die Worte ›nimm nicht so dir deyn seelenheyl lieb‹, und dann mehr zum Ende hin ›vnd stelle um unseres herren Christi willen deyne neugier nicht auf die probe und nimm keynesfalls den Samoley‹? War das Buch vielleicht gestohlen, und Cornelius wollte seinen Sohn vor dem Versuch warnen, es zu verkaufen? Das kann man leider nicht ausschließen. Der Hauptmann war ein normaler Abenteurer, der auf der Suche nach Reichtum nach Russland gekommen war. In Versuchung geführt etwa durch ein teures Buch aus der Sammlung seines Gönners würde er sich kaum gescheut haben zuzugreifen.
    »Was ist das?«, fragte der Bankier und riss Fandorin aus seinen Gedanken. »Was glänzt da so? Edelsteine? Ist das eine Schatulle?«
    »Nein«, antwortete Nicholas, ohne sich umzudrehen, und lächelte spöttisch, als er sagte: »Das ist die besagte ›Liberey Iwans‹. Sie können sich freuen.«
    »Was, was?«, sagte Joseph Guramowitsch verwundert. »Liberey? Was ist denn das schon wieder? Ein Buch, oder wie?
    Und das haben Sie die ganze Zeit gesucht? Sind die Straßen auf und ab gegangen, haben die Schritte gezählt und in Ruinen gebuddelt? Giwi hat mir jeden Tag gemeldet: ›Mir ist absolut schleierhaft, was die da machen.‹ Was haben Sie da? Weshalb hat Sedoi so einen Mordswirbel veranstaltet?«
    Das sah nicht so aus, als heuchele Gabunija. Wozu? Und vor wem? Vor einem, der in fünf Minuten tot ist?
    »Soll ich dieses Miststück in Unwissenheit lassen?«, dachte Fandorin. »Soll er doch vor Neugier platzen, der Fettsack.« Aber er wollte in diesen letzten Minuten nicht kleinlich sein, nach der Enttäuschung hatte sich Nicholas’ Stimmung geändert, sie war ernst und feierlich geworden. Er wollte nicht hektisch herumzappeln, sondern sich würdevoll benehmen. Das ist das Einzige, was ein Mensch am Ende eines nicht sonderlich geglückten, dumm verbrachten Lebens tun kann.
    In wenigen dürren Sätzen erklärte der Magister dem Bankier, was es mit der Suche auf sich hatte. Nicholas schaute dabei nicht auf das schwarze Quadrat, wo sich schon bald der tödliche Schuss mit einem Krachen lösen sollte, sondern auf den regenbogenfarbig funkelnden Beschlag des Buches und auf die schillernden Lichtreflexe, die der finsteren Gruft das Aussehen einer Märchenhöhle verliehen.
    »Der berühmte Iwan der Schreckliche?«, staunte Sosso. »Ja, wirklich? Dann ist klar, warum Sedoi so dahinter her ist. Er ist noch jung und will Romantik.«
    Dann senkte Joseph Guramowitsch auf einmal die Stimme und fragte einschmeichelnd:
    »Nikolai Alexandrowitsch, was wollen Sie denn mit diesem Buchumschlag machen? Sie werden ihn doch nicht etwa dem Staat gegen eine Belohnung in einer Höhe von einem Viertel des Wertes abtreten? Da kann ich als Finanzexperte nur sagen: Davon rate ich ab. Ich sehe schlecht von hier, aber wenn das da gelbe Saphire sind, dann reicht die ganze Kasse unseres Staates nicht aus, um 25 Prozent des wahren Wertes dieses Schatzes zu bezahlen. Selbst wenn es Opale sind, werden sie die Summe trotzdem nicht rausrücken. Sie finden irgendetwas, woran sie herummäkeln können, und hauen Sie übers Ohr, ich kenne die. Verkaufen Sie den Umschlag doch lieber mir, ja? Ich zahle Ihnen einen ehrlichen Preis: ein Drittel des Marktpreises. Soll Sedoi doch vor Neid plat zen. Willigen Sie doch ein, Nikolai Alexandrowitsch. Sie kriegen das Ding eh nicht über die Grenze.«
    Da drehte sich Nicholas um. Ob er ihn verarschen wollte? Das war dann doch zu weit hergeholt.
    »Nehmen Sie Ihre Liberey, und kommen Sie hoch«, sagte Sosso.
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