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Die Bibel Verstehen

Die Bibel Verstehen

Titel: Die Bibel Verstehen
Autoren: Anselm Gruen
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divina («göttliche Lesung», das heißt Lesung der Heiligen Schrift) entwickelt. Die lectio divina kennt vier Schritte: lectio – meditatio – oratio – contemplatio . Diese vier Schritte könnten auch für uns heute ein guter Weg sein, Bibeltexte zu meditieren.
     
    Die Lesung (lectio)
    Der erste Schritt besteht in der lectio , in der Lesung. Ich lese den Text ganz langsam, als ob ich ihn zum ersten Mal lese. Ich möchte nicht meine theologischen Kenntnisse erweitern, sondern ich möchte mich vom Wort Gottes treffen lassen. Ich spüre genau hin, wo mich ein Wort berührt und was es in mir auslöst. Gregor der Große meint, es geht bei der Lesung darum, in Gottes Wort Gottes Herz zu entdecken. Ich lese also die Bibel, um Gott zu begegnen und um Jesus Christus zu begegnen, von dem vor allem das Neue Testament auf jeder Seite spricht.
     
    Die Meditation (meditatio)
    Die meditatio meint, dass ich das Wort der Schrift in mein Herz fallen lasse. Ich denke nicht darüber nach, sondern versuche das Wort zu kauen und zu schmecken. Ich wiederhole es immer wieder in meinem Herzen. Der Evangelist Lukas hat diese Methode am Beispiel von Maria, der Mutter Jesu, beschrieben. Er sagt von ihr, nachdem sie die Worte der Hirten gehört hatte: «Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen» (Lk 2,19). Das griechische Wort symballousa, das hier mit «erwägen» übersetzt wird, heißt eigentlich: «sie fügt zusammen, sie wirft zusammen, sie wirft hin und her». Lukas sieht in Maria die kontemplative Frau, die das Wort Gottes im Herzen bewahrt und hin und her bewegt, damit sie es immer besser versteht. Damit beschreibt er das Wesen der Meditation.
    Meditation meint: das Wort Gottes im Herzen zu wiederholen, damit es das Herz und die Tiefen der Seele immer mehr durchdringt. Es soll nicht nur im Kopf bleiben. Denn der Kopf ist immer unruhig. Worte, die nur im Kopf gehört werden, zerrinnen schnell. Doch wenn das Herz das Wort Gottes hin und her bewegt, dann dringt es immer mehr in das Unbewusste des Menschen ein und erleuchtet auch die Abgründe seiner Seele. Es bewirkt im Menschen einen guten Geschmack.
    Die Mönchsväter nennen die «Meditation» auch ruminatio , das heißt wörtlich: «wiederkäuen». Sie sprechen davon, dass das Wort, das man wiederholt oder «wiederkäut», den ganzen Leib mit einem süßen Geschmack erfüllt. Es ist der göttliche Geschmack der Liebe, des Friedens und der Freude.
    In der lateinischen Tradition heißt meditari: bei etwas verweilen, immer wieder üben. Man kann es auch deuten als: in die Mitte kommen. Das Wort soll in meine Mitte gelangen. Es soll für mich zur Mitte werden, aus der heraus ich lebe. Und es soll mich zur Mitte führen, zu meinem inneren Zentrum, aus dem heraus ich mein Leben gestalten möchte.
     
    Das Gebet (oratio)
    Der dritte Schritt der lectio divina ist die oratio . Oratio meint ein kurzes Gebet, ein Gebet, in dem ich meine Sehnsucht nach Gott mit allen meinen Gefühlen und Affekten ausdrücke. In der meditatio – so sagen die Mönche – wird die Sehnsucht nach Gott geweckt. In der oratio bitte ich Gott, dass er meine Sehnsucht erfüllen möge. Er möge sich selbst mir schenken, damit ich mit ihm eins werde. Das Wort möge mich immer tiefer in Gottes Liebe hineinführen, damit ich mich in seine liebenden Hände fallen lasse.
     
    Die Kontemplation (Eins werden)
    Der vierte Schritt ist die contemplatio . Die Mönche sagen, dass wir nur die ersten drei Schritte der lectio divina wirklich üben können. Der vierte Schritt ist Geschenk der Gnade Gottes. Wir haben die Worte der Schrift meditiert. Jetzt lassen wir die Worte los und versuchen in der Stille, mit Gott eins zu werden. Die Worte haben uns in die Stille geführt. In den Worten hat uns Gott selbst berührt. Jetzt versuchen wir, in der Kontemplation Gott zu berühren und mit ihm eins zu werden.
    Für die frühen Mönche ist die Mystik immer Mystik der Heiligen Schrift. Indem wir die Bibel lesen und meditieren, machen wir die tiefsten mystischen Erfahrungen. Das Ziel aller Mystik ist, mit Gott eins zu werden, nicht mehr über ihn nachzudenken, sondern von ihm erfüllt zu werden und in ihm uns selbst zu vergessen. Gerade dort, wo wir uns selbst vergessen, sind wir ganz gegenwärtig, ganz eins mit dem Augenblick, ganz eins mit Gott.
    Contemplari heißt eigentlich schauen. Ich sehe aber nicht etwas Bestimmtes. Ich habe keine Vision. Vielmehr schaue ich auf den Grund des Seins. Papst Gregor erzählt
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