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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau
Autoren: Martina Kempff
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Franken-Karl und seine Männer sind doch jetzt überall. Wenn ihnen nun Vater und Oheim Abbio in die Hände gefallen sind …«
    »… werden sie mit ihnen das tun, was sie mit Tausenden der Unseren in Verden getan haben«, vollendete Wibbo ihren Satz. Er hatte sich wieder auf dem Lehmboden niedergelassen und sah, gegen die Steinwand gelehnt, mit düsterem Blick zur offenen Tür in den Wald hinaus. »Auch damals hat der Himmel geweint. So sehr, daß das Eisen am Leib von Karls Kriegern rostete. Und ich bin nur entkommen, weil so viele Tote auf mir lagen und man mich auch für tot hielt. So sehr wüteten die Franken, daß die Beeke tagelang vom Blut unserer armen Brüder rot blieb. Möge Saxnot diesen König vernichten, der so viel Leid über unseren Stamm gebracht hat!«
    »Der Vater wird ihn vernichten!« rief der neunjährige Wigbert mit glänzenden Augen. »Er hat unter dem Vollmond von Marklo geschworen, fürchterliche Rache zu nehmen – zusammen mit unseren Brüdern, den Engern, den Ostfalen und den Nordliudi!«
    Der Greis, der auf einem Strohlager in der Ecke lag, hustete trocken. »Der Weltenbaum ist gefallen«, krächzte er düster. »Die Eresburg längst eingenommen. In unseren eigenen Reihen herrscht Verrat. Wie lange werden unsere Götter noch diesem einen fürchterlichen Rachegott der Christen trotzen können? Auch Widukind, der Wotansohn, wird sich ihm beugen müssen. Das Ende ist nah, raunen die Ahnen.«
    »Du redest wirr, alter Mann«, bemerkte Geva. Sie schob ihre dreijährige Tochter Gerswind vom Schoß, stand auf, durchquerte den Raum und schüttete Wasser aus dem Krug in einen Becher, den sie dem Greis vorsichtig an die Lippen hielt. »Mein Mann wird siegen. Saxnot, Wotan und Donar werden ihn und uns schützen.« Widukind, Widukind, laß uns nicht allein!
    Während der Alte trank, stiegen Bilder eines kraftvollen Rituals in ihr auf. Ihr Bruder, König Siegfried von Dänemark, hatte es vor ihrer Abreise aus dem Nordland mit Widukind am Seeufer ausgeübt, und sie hatte es von einer verborgenen Stelle aus beobachtet. Von seinen Raben umflattert und seinen Wölfen begleitet, war damals Wotan, der Einäugige, aus dem Rauch der Opferstätte aufgestiegen und hatte mit seinem vielbesungenen Schwert Gungnir die Rune Thurisaz in den Sand gemalt. An seinem Finger blitzte Draupnir, der Zauberring. Als sich der Rauch und mit ihm der Gott verzogen hatte, spritzte an der Stelle, an der gerade noch ein Feuer gebrannt hatte, mit einem Mal eine Fontäne hoch. Der Strahl verwandelte die Rune, die Zerstörung und Neubeginn ankündigte, in die Rune Othala, das Zeichen für Heimat und Besitz. Geva hatte das heilbringende Omen mit eigenen Augen gesehen und sich danach nicht mehr gesträubt, mit ihrer Familie ins Sachsenland, die Heimat ihres Mannes, zurückzukehren.
    Widukind, der nach dreizehnjährigem Krieg gegen die Franken inzwischen von allen vier Sachsenstämmen als Kriegsherzog anerkannt wurde, konnte nicht länger von Dänemark aus den vereinten Kampf gegen Karl und seine Mannen führen. Und kurz vor Gerswinds Geburt gelang es ihm tatsächlich, die Franken am Süntel empfindlich zu schlagen – ja, damals schien ihm die Gunst der Götter noch hold.
    Doch dann geschah das Unglaubliche: Karl zog mit verlockenden Versprechen und wohl auch mit seinem unbarmherzigen neuen Gesetz Anführer der anderen Sachsenstämme auf seine Seite. Gerade als Widukinds Stern am hellsten zu erstrahlen schien, lieferte der Sachsenadel die eigenen Bauernkrieger, die Widukind gefolgt waren, bei Verden dem Frankenkönig aus. Der ließ viertausendfünfhundert unbewaffnete Menschen gnadenlos abschlachten. Selbst unter den Christen sprach man nur flüsternd von dieser Metzelei, und die Älteren von ihnen fühlten sich an das Blutgericht von Cannstatt erinnert, bei dem König Karls Oheim Karlmann sechsunddreißig Jahre zuvor den Aufstand der Alemannen niedergeschlagen hatte. Karlmann hatte danach dem weltlichen Leben entsagt und war ins Kloster gegangen. Das durfte man von seinem machthungrigen Neffen Karl allerdings nicht erwarten.
    »Warum verraten uns unsere eigenen Brüder?« hatte Geva damals entsetzt gerufen.
    »Der Christenkönig lockt unsere Führer mit seinen Gesetzen«, hatte Widukind geknurrt. »Er macht aus freien Bauern unfreie, die ihren Herren gegenüber abgabepflichtig sind. Wenn sich unsere Edlinge Karl anschließen und sich mit diesem seltsamen Wasserritual zum Christengott bekennen, sind sie nur noch ihm und dem König
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