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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau
Autoren: Martina Kempff
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verantwortlich und müssen sich den Beschlüssen des Things nicht mehr unterwerfen. Wer die Götter und unsere Bräuche verrät, erhält von Karl mehr Macht und wird von ihm reich beschenkt. Solchen Leuten fällt es leichter als den Armen, dem neuen Gott den Zehnten ihres Einkommens zu entrichten! Nein, Geva, auf unsere sächsischen Edlinge können wir nicht mehr bauen.«
    Die brauchen ihre Sippen auch nicht in einem steinernen Waldhaus zu verbergen und werden nicht mehr quer durch Wald und Sumpf gehetzt, dachte Geva jetzt. Vor sich selbst konnte sie nicht mehr leugnen, daß ihr Mann zum Flüchtling im eigenen Land geworden war, doch vor der Sippe durfte sie das nicht zugeben. Auch wenn sie sich schon längst Gedanken über eine andere, nicht heilbringende Bedeutung der beiden Runen am Meeresstrand gemacht hatte. Damals hatte sie nur daran gedacht, daß Thurisaz den Weg für einen Neubeginn freimacht. Das Unglück, das diese Rune vorhersagt, Größenwahn, Machtmißbrauch und Selbstüberschätzung, hatte sie auf den Frankenkönig bezogen. Jetzt dachte sie immer öfter daran, daß dieses Zeichen nicht nur mißgünstige Kräfte abwehrte, sondern auch gebrochenen Widerstand bedeutete und daß Othala, die andere Rune, die Veränderung von überlieferten Gewohnheiten ankündigte. Angst schnürte ihr wieder die Kehle zu. In Kürze würde es dunkel werden, und dann war mit Widukinds Rückkehr an diesem Tag nicht mehr zu rechnen. Dann wartete eine weitere schlaflose Nacht voller Bangen auf sie.
    »Er wird untergehen. Und wir mit ihm. Karl hat die Langobarden vernichtet. Wir sind die nächsten«, unkte der alte Mann.
    Geva unterdrückte ihren inneren Aufruhr und setzte dem Kranken betont ruhig wieder den Becher an den Mund.
    »Das Reden schwächt dich, alter Mann. Was haben wir mit den Langobarden zu schaffen! Niemand kennt sich in Wald, Heide und Sumpf so gut aus wie Widukind. Wer sonst ist schon auf den Gedanken gekommen, die Hufe der Pferde verkehrt herum zu beschlagen, um den Feind in die Irre zu führen! Die Franken mögen mehr Mannen, Waffen und Pferde haben, doch wir haben Widukind.« Sie blickte auf.
    »Wo ist Gerswind?« fragte sie in die Runde.
    »Weg«, nuschelte der fünfjährige Siegfried, nahm den Daumen aus dem Mund und deutete zur Tür.
    Geva fuhr hoch und stürzte nach draußen. Man durfte diese Tochter wirklich keinen Augenblick unbeaufsichtigt lassen! Sie nutzte jede Gelegenheit, durch den Wald zu streunen. Erst kürzlich war sie wieder ausgebrochen und zum Flußufer gelaufen, um Beeren von den Sträuchern zu pflücken. Als sie Hufgetrappel hörte, hatte sie sich nicht versteckt, wie ihr ständig eingebleut worden war, sondern war den Reitern entgegengerannt. Sie mußte unbedingt sehen, weshalb sie aus der Ferne so wunderschön glitzerten. »Glänzende Reiter sind gefährlich!« schärfte ihr Widukind am Abend ein, als er die von Franken erbeutete Brünne in einer Ecke des Raums niederlegte. »Du darfst ihnen niemals nahe kommen, hast du verstanden?« Gerswind hatte gefügig genickt und auf die Frage ihres Vaters, wie sie sich im Wald zu verhalten habe, gehorsam den ihr ständig vorgehaltenen Satz nachgeplappert: »Ich muß zu einem Teil von ihm werden, zu einem Strauch unter Sträuchern, einem Baum unter Bäumen.« Inständig hoffte Geva, daß ihre Tochter endlich diese Lektion gelernt hatte. Sie, Geva, würde ihre Tochter schon unter den Sträuchern und Bäumen erkennen! Sehr weit konnte das Kind diesmal jedenfalls nicht gekommen sein. Der Regen hatte endlich ausgesetzt, und ein schmaler Sonnenstrahl stahl sich durchs Blattwerk auf den Schlammboden vor dem steinernen Waldhaus.
    Doch die winzigen Spuren von Gerswinds nackten Füßchen verloren sich an einer bemoosten Stelle. »Heilwig und Wigbert!« rief Geva ins Haus. »Kommt sofort raus und helft mir eure Schwester suchen!«
    Widukind und sein Schwager Abbio bestiegen schweigend die Pferde, die sie am Eingang der Grotte festgebunden hatten. Wieder einmal hatte sich zur Versammlung eine weitaus geringere Zahl von Schwertgenossen als beim Mal zuvor eingestellt. Zwei Tage hatte das kleine Häuflein in der Grotte ausgeharrt, hoffend, daß die anderen sich nur verspätet haben mochten.
    Während sich die beiden Männer den Weg durch den Wald bahnten, hing jeder seinen eigenen düsteren Gedanken nach. Stundenlang fiel zwischen ihnen kein Wort.
    »Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen«, brach Abbio endlich das Schweigen. »Wieder haben die Franken zwei
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