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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau
Autoren: Martina Kempff
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große Gruppen der Unseren in eine fremde Gegend verbracht, wo sie ein neues Leben beginnen sollen. Von den vielen anderen wissen wir nicht, was ihnen geschehen ist. Ob sie tot, aufgegriffen oder zum Feind übergelaufen sind. Dieses Gesetz gegen uns Sachsen hat Schrecken in alle Herzen gesät …«
    »Still!« Widukind zügelte seinen Rappen. »Riechst du den Rauch?«
    Abbio hielt inne und nickte beunruhigt. »Die Feuerstelle …«, sagte er tonlos, doch beide Männer wußten, daß sie aus dieser Entfernung den Rauch des Kochfeuers nicht hätten wahrnehmen können. Und beide trieben sofort die Pferde an. Widukind, der König der List, der Meister der Behutsamkeit und Umsicht, dachte keinen Augenblick an die Gefahr, die auf ihn lauern könnte, sondern nur daran, daß er nicht zu spät kommen durfte, um die Seinen zu retten.
    Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Dichte Rauchschwaden stiegen aus dem Steinhaus empor, aus den schmalen Fenstern loderten Flammen, und glühende Holzbalken fielen krachend ins Innere. Vor dem Gebäude lag Abbios Sohn Siegfried mit eingeschlagenem Kopf, und durch die offene Tür waren auf dem Boden des Hauses im Flammenschein Schemen regloser Körper zu erkennen. Abbio stieß einen Schrei aus, sprang vom Pferd, warf die Regentonne um, daß sich ihr Inhalt in den Eingang ergoß, und wollte ins Haus stürzen. Nur mit Mühe konnte ihn Widukind zurückhalten.
    »Denen dort drinnen können wir nicht mehr helfen!« brüllte er. »Es bleibt nur die Rache! Die Mörder können nicht weit sein.« Er griff an den Gürtel, wo neben der Wurfaxt und dem Messer der Langsax baumelte.
    Abbio starrte ihn entgeistert an, entwand sich Widukinds Griff und ließ sich zu Boden sinken. Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
    »Nein, nein, nein …«, murmelte er, »es ist vorbei, Widukind, es ist vorbei.« Mühsam richtete er sich wieder auf. Tränen strömten über sein Gesicht, und diesmal hielt ihn Widukind nicht auf, als er das verqualmte Waldhaus betrat. Noch am Abend bauten sie hinter dem Haus einen großen Scheiterhaufen und überantworteten die bereits halbverkohlten Leichen endgültig dem Feuer.
    »Friede ihrer Asche«, murmelte Widukind und dachte kurz daran, daß er nach Karls neuem Gesetz schon deswegen als todgeweiht galt, weil er die Seinen nach altem Ritus verbrannte. Vierzehn Menschen waren in der Waldhütte umgebracht worden: Gerda, Abbios Frau und Widukinds Schwester, sowie deren Sohn Siegfried. Auch der lahme Wibbo, dessen Mutter und Großvater, zwei weitere Basen und vier Kleinkinder, die das Sprechen noch nicht erlernt hatten, sowie zwei zwölfjährige Knaben, die gerade das Mannbarkeitsalter erreicht hatten. Von Geva, Heilwig, Wigbert und Gerswind aber fehlte jede Spur.

1
    Das Kind und der König
    Im Jahr 785
    Karl holte tief Luft und stieß die Tür zum Gemach seiner Gemahlin auf. Der siebenunddreißigjährige Frankenkönig besuchte sie tagsüber nur ungern, denn in dem stickigen Raum fiel ihm das Atmen schwer. Fastrada pflegte eine unüberwindbare Abneigung gegen frische Luft und bestand darauf, daß in jeder Pfalz Wände und Fenster der Räume, die sie bewohnte, mit dickem Stoff verhängt wurden. Nur so, versicherte sie, könne der Duft der Kräuter wirken, die sie überall im Gemach in kleinen Schalen verglimmen ließ. Dies mildere die Pein, die ihr der Kopf und vor allem die Zähne bereiteten, meinte sie.
    Mit kostbaren, würzig riechenden Ölen, die jüdische Händler aus dem Morgenlande ins Frankenreich brachten, ließ sie sämtliche Gegenstände in ihren Gemächern einreiben oder bespritzen. Das diene ihrer Sicherheit, behauptete sie einmal, und als Karl sie verständnislos ansah, flüsterte sie ihm zu, daß es keinesfalls nur speerschwingende sichtbare Feinde in Menschengestalt gebe und er gut daran täte, auch seine Waffen mit diesen Ölen zu versehen.
    Fastrada war ihm ein Rätsel, doch genau das betörte ihn. Bis er ihr begegnet war, hatte er geglaubt, alles über Frauen zu wissen, was ein Mann wissen sollte. Schließlich hatte er sie schon seit frühester Jugend intensiver studiert als die Schriften, die ihm seine Lehrer vorsetzten. Er hatte bereits zahllose Frauen näher kennengelernt, als er die fünfzehn Jahre ältere Himiltrud heiratete, die ihm den zwar sehr schönen, leider aber auch sehr buckligen Sohn Pippin geschenkt hatte. Diese Ehe war für nichtig erklärt worden, als er auf Wunsch seiner Mutter aus politischen Gründen
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