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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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übergeführt wird, weil nur so die beiden Handlungsstränge wenigstens am Ende des Romans für einen Augenblick zu verbinden sind.
    Denn da lag die Schwierigkeit, in der Koppelung der beiden Themenkreise, die auf weite Strecken einander unverbunden gegenüberstehen und die Einheit des Romans von allen Seiten gefährden.
    Die Mehrgleisigkeit der Thematik hat kompositionelle Konsequenzen. Saccards Bubenstück mit dem Grundbesitz seiner Frau in Charonne erhält so in dem Handlungsstrang »Gold« ein Gewicht, das ihm im Vergleich mit Saccards sonstigen Transaktionen gar nicht zukommt. Im Grunde ist diese Affäre lediglich eine etwas erweiterte Neuauflage von Saccards erstem Coup in der Rue de la Pépinière. Aber sie bietet die Möglichkeit, das Leben Renées und Maximes einerseits und das Saccards andererseits, das sonst fast ohne persönliche Berührungspunkte verläuft – das »Nachlassen der Familienbande« ist gerade ein von Zola konstatiertes Charakteristikum der Epoche –, handlungsmäßig zu verflechten. Zugleich setzt es dem »moralischen Sujet« das letzte Schlaglicht auf. Saccard spekuliert tatsächlich mit allem, Geld, Häusern, Grundstücken, Geliebten und, wenn es sein muß, mit Frau und Kind. Und die neu angeknüpften intimen Beziehungen zu Renée sind nur ein Schachzug in diesem Hasardspiel. Moralische Skrupel gibt es nicht in diesem Sittensumpf des Kaiserreichs.
    Hier, in der Wertung aller Handlungen im persönlichen, öffentlichen und sozialen Bereich unter moralischem Aspekt, liegt auch die eigentliche Einheit der beiden Handlungsstränge. Sie sind Indices eines Gesamtzustandes. Renées Vergehen ist nur der schrille Ton in der düsteren Symphonie der Zügellosigkeit und Ausschweifung. Leben, Ansichten und Verhalten aller Personen des Romans offenbaren durchgängig moralische Verkommenheit als das Charakteristikum des Kaiserreichs. Die Menschen sind nicht als Individuen interessant, sondern als Chiffren einer Epoche, und das Zauberwort dieser Epoche ist Gewinn, Profit um jeden Preis; sein Ergebnis – moralischer Verfall.
    Nur wenn sich in einer Figur gleichsam diese Epoche mit einer anderen kreuzt, kann sie gegen den gesellschaftlichen Zwang dieses allgemeinen Verfalls aufbegehren. Diesen Ansatz zur dramatischen Schürzung des Knotens bietet nur Renée.
    Zola hat lange über den »logischen« Schluß seines Romans nachgedacht und verschiedene Varianten durchgespielt. Als erstes kommt ihm eine »physiologische« Lösung in den Sinn: Aristide, Maxime, Renée, die drei »entfesselten Begierden«, verfallen entnervt in halben Wahnsinn. Das wäre fast eine theoretische Neuauflage der Thérèse Raquin. Aber entgegen der Doppelgesichtigkeit seiner ursprünglichen Aufgabenstellung für die Reihe – eine Vererbungs und eine Sozialgeschichte zu schreiben – hat Zola gerade in diesem Roman seine physiologischen und erbgeschichtlichen Präokkupationen weitgehend vergessen. Sicher werden die charakterlichen Dispositionen seiner Personen erbtheoretisch begründet, aber charakterlich entwickelt werden sie aus dem »Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« – wie Marx es formuliert hat. Als zweites denkt Zola an eine psychologische Lösung. Er selbst nennt sie eine »physiologische«. Saccard soll sich am Ende unsterblich in seine Frau verlieben. Doch er besinnt sich sofort wieder und sagt: »Nein, das liegt nicht in der Logik seines Charakters.« Auch eine »romantische« Lösung à la Victor Hugo nach dem Schema: die Guten werden belohnt, die Bösen bestraft, erwägt er einen Augenblick: Saccard soll scheitern. Die Fälligkeitstermine seiner Wechsel rücken näher, sein Sohn pfeift auf ihn, Renée rettet sich mit einem Geliebten, alles stürzt über ihm zusammen. Aber auch dieser »literarische« Schluß findet nicht seine Billigung. »Die Kanaillen müssen triumphieren. So ist die Wirklichkeit.« Schließlich kommt ihm die Erleuchtung: »Jetzt habe ich die dramatische Lösung dank Renée, die revoltiert und einen Augenblick lang kämpft … Sie allein soll untergehen, sterben, verrückt werden, irgend etwas. Die beiden Männer bleiben Auge in Auge und profitieren noch von ihrem Tod.« Zola entscheidet sich also für eine »psychologische« Lösung.
    Renée, wohl behütet, in gutbürgerlichem Elternhaus aufgewachsen, durch den Fehltritt ihrer Jugend aus der Bahn geworfen und durch die Ehe mit Saccard in den Sog dieser »verfaulten Gesellschaft« geraten, ist die einzige, die sich der Ungeheuerlichkeit
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