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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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kritischen Sicht der Personen und Vorgänge.
    Sollte die Enttäuschung über die ersten Erfahrungen mit dieser neuen Republik, in die er alle Hoffnungen gesetzt hatte und noch setzte, beim Ton seiner moralischen Empörung über die Korruptheit der offiziellen Kreise des Kaiserreichs mit im Spiele gewesen sein? Es ist zumindest möglich.
    Sicher ist, daß die Wirklichkeit seiner Zeit Zola kein realisiertes, positives Gegenbild bot. Blieb als Ideal der Bewertung nur die verklärte Erinnerung an eine im Vergleich zur Gegenwart noch ehrbar erscheinende bürgerliche Vergangenheit und die Hoffnung auf die Wirksamkeit abstrakter moralischer Normen, deren Durchsetzung sein positivistischer Fortschrittsglaube von der Zukunft erhoffte.
    Zu diesen Moralnormen gehören außer den bürgerlichhumanistischen Idealen der Freiheit und Gerechtigkeit (der in Praxis umgesetzten Gleichheit) und dem szientistischen Ideal der Wahrheit zweifelsohne auch laizisierte Vorstellungen des christlichen Moralkodex: »Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Gut«, »Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib«, vor allem aber »Du sollst nicht Unkeuschheit treiben«. Zola hat im sexuellen Bereich fast durchgängig mit christlichen Moralvorstellungen gearbeitet und die Symbolträchtigkeit der biblischen Mythen genutzt. Die »Sünden des Fleisches« sind für Zola immer mit dem Hauch der Verdammnis umgeben. Hélène im »Blatt Liebe« büßt mit dem Tod der Tochter für ihre sündige Liebe; im »Abbé Mouret« folgt dem »Sündenfall« die Vertreibung aus dem Paradies, dem Paradou; Gervaise verkommt, weil sie der Fleischeslust nicht entraten kann und ihrem alten Geliebten Lantier wieder verfällt; Jacques aus dem »Tier im Menschen« tötet im Liebesrausch, und Nana, das Symbol aller fleischlichen Lüste und Laster, verfault bei lebendigem Leibe. Auch Renées sündige Liebe gedeiht inmitten der »Flammen des Treibhauses« wie in einem neuen Garten Eden, und wie Eva will sie das Böse: » … sie wollte das Böse, das Böse, das niemand kennt, das Böse, das endlich ihre leere Existenz ausfüllen und sie in diese Hölle bringen sollte, vor der sie noch immer Angst hatte, wie zur Zeit, da sie ein kleines Mädchen war …« Eine Vorahnung von diesem Bösen, dem »anderen«, das sie sucht und nach dem sie sich sehnt, kommt ihr in dem Augenblick, da sie ein Blatt von dem verfluchten Tanghinbaum zerkaut, dem Baum der Erkenntnis. Auch am Schluß, als sie sich nach Aufdeckung des Inzests, von ihrem Mann und ihrem Geliebten allein gelassen, im Spiegel betrachtet, steht eine biblische Metapher, sie erkennt, daß sie »nackt« ist. Adams und Evas Erkenntnis nach dem Sündenfall.
    Zola bedient sich aber nicht nur tradierter christlicher Vorstellungen von Gut und Böse in dem Handlungsstrang »Fleischeslust«, sondern er nutzt auch Metaphern aus dem religiösen Bereich, um diesen Bezirk, den Taumel des Sinnenrauschs, mit dem des Goldrauschs zu verkoppeln.
    Renées Bett erhält durch den weiten, sich blähenden Vorhang nicht nur die Umrisse einer »vor Wonne vergehenden Liebenden«, die im Begriff ist, »in die Kissen zu sinken«, sondern es ist zugleich »ein Heiligtum« – wie die Kasse Saccards – mit dem »Halbdämmer einer Kirche«, von einer »frommen Breite«, die an eine »zum Fest geschmückte Kapelle« erinnert. Das Ankleidezimmer hat die »Sammlung einer Sakristei«, und selbst in der suspekten Chambre séparée entdeckt Renée einen »unbestimmten, aber durchdringenden und fast klösterlichen Staubgeruch«. Kein Wunder, daß das ganze Haus für Renées exzentrische Liebe »zu einer Kapelle« wird, »wo sie im geheimen einer neuen Religion huldigt«.
    Für die Besucher Saccards aber ist das gleiche Haus »der ernste und würdige Tempel des Geldes« und die »Kasse« das »Allerheiligste, zu dem ein Korridor von weihevoller Nüchternheit führt«, an dessen Ende man den »Kassenschrank, den Gott« erblickte.
    Und so wie hier unterlegt Zola dem ganzen Roman ein dichtes Gewebe wechselseitig verbundener und sich erhellender Bilder, wodurch nicht nur mit Hilfe der sprachlichen Struktur die Einheit der beiden Handlungsstränge immer wieder suggeriert wird, sondern auch der ganze Roman von einer einheitlichen Atmosphäre durchzogen wird, die eigentlich das künstlerisch Neue dieses Werkes darstellt und zugleich die fesselnde Wirkung erklärt, die dieser Roman noch immer ausübt. Denn die »Beute« gehört heute zu den beliebtesten Romanen der »Rougon
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