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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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seiner Familie einschließt und das Kaiserreich strikt ablehnt, und die gutmütige, völlig weltfremde Tante. In dem ganzen übrigen Figurenensemble findet sich nicht eine wirklich ehrbare Person. Selbst die Dienerschaft der Saccards ist nicht besser als ihre Herrschaft. Céleste verbirgt hinter aufmerksamer Ergebenheit einen kleinlich hartherzigen Geiz, und der würdevolle Diener Baptiste frönt im Pferdestall geheimen Lüsten.
    Andererseits läßt Zola auch keine Zweifel daran, daß die alte ehrbare Bourgeoisie, wie sie die Familie Béraud vertritt, der Vergangenheit angehört und nicht die positive Lösung der Zukunft sein kann. Wenn Saccard und Renée auf der Ile SaintLouis Besuch machen, »dann war ihnen, als beträten sie eine Totenstadt«. Diese alte Bourgeoisie in ihrer Realitätsfremdheit ist noch nicht einmal in der Lage, sich selbst vor den Gefahren zu schützen, die ihr von dieser neuen Empiregesellschaft drohen. Im Gegenteil. Um falscher Ehrbarkeitsvorstellungen willen liefert sie ihnen noch ihre Mitglieder aus, so wie Renée an Saccard verkauft wird. Bietet sie keine positive Alternative im persönlichen Bereich, dann schon gar nicht im politischen. Von dieser Bourgeoisie, die noch in den Vorstellungen des Jahrhundertanfangs lebt, kann nicht die Rettung ausgehen. Sie bezeichnet auch nicht den Standort, von dem aus Zola wertet. Denn dieser ist im Roman selbst unmittelbar nicht gestaltet, er muß erschlossen bzw. durch Äußerungen Zolas in anderem Zusammenhang ergänzt werden.
    Seine politische Position hat Zola gerade in dieser Zeit mehrfach eindeutig festgelegt. Das Zeitalter der bürgerlichen Gesellschaft ist nach seiner Meinung nicht schlechthin überlebt, sondern im Umbau, vor allem unter dem Druck der sich ständig mehrenden Erfindungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und des ungeheuren Aufschwungs in der materiellen Produktion. Das Jahrhundert steht erst am Anfang seines Aufstiegs zu einem Jahrhundert der Gerechtigkeit und der Wahrheit.
    Dieses Werk aber kann nur das Ergebnis der Bemühungen der großen Mehrheit sein. Und die Regierung der großen Mehrheit ist für Zola die Republik.
    Zola hat sich oft als einen »alten Republikaner von gestern« bezeichnet, einen »Mann der Linken«, würde man heute sagen. Für Zola war die Republik gegenüber der Cliquenwirtschaft der Vergangenheit die Herrschaft der Mehrheit des Volkes. In einem seiner politischen Artikel vom 21. November 1871 – also kurz nach dem Erscheinen der »Beute« – kennzeichnet er diese Regierung der Vergangenheit folgendermaßen: »Die Befriedigung der Begierden einer kleinen Anzahl, die das Elend aller herbeiführt, die Lüge einer künstlichen Mehrheit, die in die Hände von kaum tausend Individuen den Willen von 30 Millionen Menschen legt.« Kein Zweifel, daß Zola die napoleonische Clique auch als eine solche »kleine Anzahl«, eine »künstliche Mehrheit« betrachtet, denn im Roman bezeichnet er sie gleich zu Beginn des zweiten Kapitels als eine »Handvoll Abenteurer, die soeben einen Thron gestohlen hatten …«. Gegenüber solcher Vergewaltigung Frankreichs durch eine Minderheit beruhte die Hoffnung und die Zukunft nur auf der Republik, von der die Nation »die Freiheiten erwartet, auf die ihr gesunder Menschenverstand Anspruch hat« und die ihr helfen werden, »ihre verlorene Würde wiederzugewinnen und ihren Rang als freie Macht«.
    Zola setzt abstrakte moralische Zielstellungen, Appelle an Ehre und Gewissen statt konkreter Einsichten in reale gesellschaftliche Prozesse.
    Im Grunde hatte die Republik ja auch noch gar keine Chance gehabt, ihre Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Ordnung der »menschlichen Dinge« zu erweisen. Zweimal war ihr nach kurzem Bestehen von den Bonapartes der Garaus gemacht worden. Aber auch diese neu nach dem Sturz des Kaiserreichs (4.9.1870) ausgerufene Dritte Republik wurde von allen Seiten angegriffen und unterminiert. Nicht nur von der revolutionären Erhebung der Pariser Arbeiter in der Commune. Bonapartisten, Orleanisten, Legitimisten wetteiferten, um die junge Republik schnell wieder zu Fall zu bringen. Und auch das Parteiengezänk hohlköpfiger Politiker, die bramarbasierende Großmannssucht geschlagener Generale, der neue Wettlauf um Ämter und Würden war nicht gerade beruhigend. Als Parlamentsberichterstatter hatte Zola hinlänglich Gelegenheit, die neuen regierenden Vertreter der »Mehrheit« aus nächster Nähe zu studieren. Seine Artikel lassen keinen Zweifel an seiner
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