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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Autoren: Ulrike Renk
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sah nach den Kindern. Bevor sie in ihr Schlafzimmer ging, öffnete sie die Tür zu Minnies Zimmer und setzte sich neben das Bett. Endlich konnte auch sie ihrer Trauer nachgeben.
    »Mein Kind, meine Minnie«, weinte sie leise. »Oh, mein Kind.«
    Nach einer Weile trocknete sie ihre Tränen, putzte sich die Nase und küsste ihre Tochter ein letztes Mal. Dann ging sie leise zu Bett.
    Carl war noch wach.
    »Eltern sollten nie ihr Kind beerdigen müssen«, sagte er. »Das ist unnatürlich.«
    »Das ist es.« Emilia seufzte.
    »Es bricht mir das Herz«, flüsterte er mit rauer Stimme.
    »Uns allen. Sie war viel zu jung.« Emilia biss sich auf die Lippe. »Du hast mich überrascht.«
    »Womit?«
    »Dein Verhalten Rudolph gegenüber. Ich hatte befürchtet, dass du ihn zusammenschlagen würdest.«
    »Ich auch. Aber als ich ihn so sah, so voller Schmerz, hat er mir leidgetan. Ich war mit dieser Verbindung nie einverstanden, aber er hat Minnie aufrichtig geliebt und sie ihn.«
    Emilia nickte, schwieg. Dann setzte sie sich auf. »Was wird mit den Kindern?«
    »Nun, das musst du entscheiden. Und Rudolph.«
    »Ich möchte, dass sie bei uns aufwachsen.« Emilia hielt den Atem an und wartete auf Carls Antwort. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Brust.
    »Ja«, sagte er. »Wenn du dir das zutraust.«
    »Minnie hat es so gewollt.«
    »Dann stellt sich die Frage doch gar nicht. Wir werden Minnies Wunsch erfüllen.«

1891–1909
 
Carola
Epilog
    Aufgrund seiner Reisen hatte Rudolph nicht die Möglichkeit, die Kinder zu betreuen. Deshalb stimmte er schweren Herzens zu, dass sie bei Emilia und Carl blieben. Alle paar Wochen kam er nach Glebe, um nach ihnen zu sehen und Zeit mit ihnen zu verbringen.
    Im Frühjahr 1891 bat er seine Schwiegereltern zu einem Gespräch.
    »Ich habe Post aus Deutschland bekommen. Meine Schwester Mathilde hat mir geschrieben. Sie ist entsetzt über Minnies Tod.«
    Emilia senkte den Kopf. Immer noch tat es weh, wenn sie an ihre Tochter dachte. Der Schmerz war nicht mehr so frisch und stechend, sondern dumpf und beständig.
    »Sie hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen kann.«
    »Ein Angebot?«, fragte Carl misstrauisch.
    »Nun, ihr müsst wissen, dass sie kinderlos ist. Sie lebt in sehr guten Verhältnissen. Sie und ihr Mann Johannes haben Besitztümer in Krefeld und in Hamburg. Er ist Arzt und mildtätig.«
    »Und?« Emilia straffte die Schultern. Sie spürte, dass ihr der Vorschlag nicht gefallen würde.
    »Sie ist Carolas Taufpatin.«
    Emilia kniff die Augen zusammen. »Das ist die Schwester, die mit einem Amsinck verheiratet ist?«
    »Richtig. Sie möchte Carola adoptieren.«
    »Was?« Carl richtete sich auf.
    »Sie möchte, dass Carola nach Deutschland kommt und bei ihr aufwächst.« Rudolph knetete seine Hände. »Sie würde mir genügend Geld zukommen lassen, damit die anderen vier eine ordentliche Schulausbildung in Australien bekommen können.«
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte Emilia aufgebracht. »Wir kümmern uns um die Kinder, es mangelt ihnen an nichts.«
    »Wir tun alles für die fünf«, polterte nun auch Carl. »Wir brauchen keine Almosen.«
    »Du kannst die Geschwister doch nicht trennen.«
    »Es ist eine großartige Chance für Carola. Ich habe meiner Schwester schon gekabelt, dass ich einverstanden bin. Sie wird nach Europa gehen und dort aufwachsen.«
    Emilia stand abrupt auf und ging hinaus. Der Gedanke, ihre Lieblingsenkelin zu verlieren, war unerträglich. Sie konnte nicht glauben, dass Rudolph es ernst meinte.
    Doch Rudolph beharrte auf seiner Entscheidung.
    Am Abend saß er in der Stube am Kamin, den kleinen Bill auf dem Arm. Das Kind lachte und gurrte fröhlich. Emilia zog den anderen Sessel hinzu und setzte sich neben ihren Schwiegersohn.
    »Als ich acht Jahre alt war«, sagte sie leise, »gingen meine Eltern mit meinem kleinen Bruder nach England und ließen mich bei meiner Verwandtschaft in Hamburg zurück. Es war furchtbar für mich. Jahr um Jahr habe ich gehofft, dass sie mich zu sich holen würden. Doch das taten sie nicht. Jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr habe ich auf den Brief gewartet und wurde immer enttäuscht. Meine Tante und mein Onkel haben mich versorgt, aber es waren nicht meine Eltern. Meinen kleinen Cousin und meine Cousine mochte ich sehr, aber sie waren nicht meine Geschwister.« Emilia sah ihn an, doch Rudolph erwiderte ihren Blick nicht. »Du weißt, dass Carola sehr an ihren Geschwistern hängt, sie zu trennen wäre
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