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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten
Autoren: Per Olov Enquist
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aller Hast an Bord gebracht, und nachdem man die Maschinen angelassen hatte, verließen die Schiffe panikartig die Flussmündung.
    Keines hatte einen Treffer erhalten. Die Papiere blieben zurück, für immer.
    Die Geschichte mit den Krankheitsattesten wird durch die erhaltenen Tagebücher kaum bekräftigt; einige der Legionäre glauben, sie im nachhinein vage bestätigen zu können, andere wiederum behaupten, sie wüssten von nichts. Im Herbst 1945 sollten die baltischen Legionäre in der schwedischen Presse noch häufig als »Deserteure« bezeichnet werden, um ihnen eine andere völkerrechtliche Stellung zu geben. Es ist denkbar, dass man die Abfahrt von Danzig als eine Desertion bezeichnen kann. Es ist aber offenkundig, dass die Desertion schon nach wenigen Stunden beendet war. Sie war ein gelungener Coup, dessen Erfolg den Soldaten recht gab.
    Sie verließen die Flussmündung am 27. März um 13 Uhr. Sie hatten keinen Schiffskompass, keine Seekarten und nur noch für wenige Stunden Kohle. Sie versuchten, mit Hilfe von Taschenkompassen zu navigieren, aber die vielen metallenen Gegenstände an Bord verhinderten eine genaue Orientierung. Am Morgen des 28. befanden sie sich auf hoher See; nirgends war Land in Sicht. Das Meer war ruhig. Das kleinste der Schiffe, »Augusts«, bekam schon nach fünf Stunden einen Maschinenschaden; die Passagiere wurden von den Besatzungen der beiden anderen Schiffe an Bord genommen, und danach setzte man die Fahrt fort.
    Nach und nach wurde die Einrichtung aus Holz verheizt, alles, was brennbar war und sich abreißen ließ.
    Die Augenzeugenberichte von dieser Fahrt sind verschwommen und unklar. Nur die Offiziere durften an Deck gehen, die Mannschaften wurden unter Deck eingeschlossen. Der ursprüngliche Bestimmungshafen ist möglicherweise Flensburg gewesen. Am 29. März gegen Mittag wurde im Westen eine Küste gesichtet. Es war nicht Deutschland, auch nicht Schweden, sondern der Fischereihafen von Svaneke auf Bornholm.
    Dort blieben die Letten vier Tage und Nächte; sie meldeten sich beim deutschen Befehlshaber und bekamen Befehl, nach Rönne weiterzufahren. Am Abend des 4. April gehen sie aus und bummeln durch die Stadt. Der Anblick ihrer SS-Embleme hat die Dänen nicht gerade mit Begeisterung erfüllt. »Das Verhalten der Dänen uns gegenüber ist nicht angenehm.« Sie wohnen in Gasthäusern, jeweils zu zweit in einem Zimmer. Alles ist in Ordnung. »Wir essen dänische Schlagsahne und wunderbares Gebäck.«
    Sie sollten noch über einen Monat auf Bornholm bleiben.
    Der Aufenthalt auf Bornholm hatte später zur Folge, dass die Beurteilung des Status der lettischen Legionäre kompliziert wurde; im Herbst 1945 ist nämlich von mehreren Seiten behauptet worden, die Letten seien gar nicht von der Ost-, sondern von der Westfront gekommen. Die deutschen Soldaten, die nach Schweden geflohen waren, wurden ja nach einfachen und leicht zu begreifenden Prinzipien ausgewiesen: wer von der Ostfront kam, den schickte man nach Osten, das heißt zu den Russen, wer von der Westfront kam, wurde nach Westen gebracht.
    Und was geschah mit denen, die von Bornholm herübergekommen waren?
    Bornholm gehörte zu Dänemark, das von britischen Truppen befreit wurde. Die Deutschen in Dänemark kapitulierten am 5. Mai. Bornholm dagegen wurde von russischen Truppen befreit, und die Deutschen auf der Insel leisteten noch über den 5. Mai hinaus Widerstand. Bornholm wurde als »der russischen Interessensphäre zugehörig« bezeichnet.
    Die Deutschen und Letten auf Bornholm waren von der Ostfront zunächst nach Bornholm und dann nach Schweden geflohen. Die schwedischen Behörden lösten das Problem mit einem einfachen Schnitt, sie stuften die Bornholm-Flüchtlinge als Flüchtlinge von der Ostfront ein.
    Der Aufenthalt auf Bornholm verlief ruhig und ohne aufregende Zwischenfälle. Die Tagebücher waren mit unwichtigen Details gefüllt. »Wieder ein schöner Frühlingsmorgen. Habe mich in der Badewanne sorgfältig gewaschen. Wir essen wieder dänische Schlagsahne.« »Den Tag verbringe ich meistens im Liegen.« Ein zwanzigjähriger lettischer Gefreiter beschreibt ausführlich seine Schnitzarbeiten, mit denen er seine Zeit totgeschlagen hat, und fügt hinzu: »Es wird wohl unmöglich sein, diese Dinge zu verkaufen, da niemand etwas mit uns zu tun haben will. Das liegt an unseren Uniformen.« Am 20. April »nehmen wir an der Feier des Kommandanten aus Anlass des Führer-Geburtstags teil«. Gegen Mitte des Monats wird
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