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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten
Autoren: Per Olov Enquist
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Offiziere sind mit von der Partie. »Hauptmann Abolins ballert im Suff in die Luft. Es ist schwer, die Betrunkenen zur Ordnung zu rufen.«
    Das arabische Pferd, das er sich ausgesucht hat, hat man ihm jedoch nicht genommen. Er reitet oft aus, durch die hinterpommersche Landschaft, während die Russen die Zange um sie und Danzig herum immer mehr zudrücken; schließlich ist die Einkesselung gelungen. Im Tagebuch spricht er häufig von »schwerem Gemüt«. Die Ausflüge zu Pferd sind jedoch eine willkommene Abwechslung. Am Abend des 17. Februar reitet er zum Gefechtsstand in Raduna, es ist dunkel, aber die Landschaft ist weiß, und er kann sich orientieren. Auf dem Heimweg wird er von einem Schneesturm überrascht; er beschreibt den Schnee, den Sturm, den peitschenden, trockenen Schnee, das Pferd. »Ein großartiger Ritt durch den Schneesturm.«
    Er reitet zum letzten Mal.
    In den letzten Februartagen waren die Russen nur noch wenige Kilometer von Sophienwald entfernt; die Notwendigkeit eines baldigen Rückzugs wurde offenkundig. Am 3. März bekamen die Letten Befehl, Trembor zu verlassen. Wenn das so weiterging, würden sie Westpreußen bald verlassen müssen. Der Rückzug wird durch ständige Fliegerangriffe gestört. Am 19. März wird die Lettische SS-Division endgültig aufgelöst; die Einheiten werden zerstreut, deutschen Verbänden zugeschlagen, während die Russen immer mehr nach Westen vorwärtsdrängen.
    Am 25. März zog eine versprengte Einheit der 15. Division durch Danzig.
    Die Stadt war schwer bombardiert worden, es rauchte überall, die Häuser waren dem Erdboden gleichgemacht oder standen in Flammen. In den Tagebüchern finden sich viele Eintragungen, die von Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Furcht berichten. Hier und da unbeschädigte Viertel, aber im übrigen war alles vernichtet. Es war Frühling, die Bäume waren noch nicht grün, aber die Luft war lau und mild. Überall lagen Tote; sie zu begraben, war keine Zeit mehr. An den Wänden konnte man Parolen lesen, die mit großen Buchstaben hingekritzelt worden waren: SIEG ODER TOD.
    Sie gingen mitten durch die Stadt, sie hatten nichts zu tun. Die russischen Flugzeuge griffen ständig an. An Straßenlaternen baumelten Menschen: nur Soldaten. Man hatte ihnen Plakate umgehängt; es handelte sich um Deserteure, die man entweder erst erschossen und dann gehängt oder einfach gleich gehängt hatte. Sie waren nicht zu übersehen.
    Die Letten schlugen in einem Dorf namens Heubude ihr Quartier auf (dieses Dorf taucht auf manchen Karten auch als Henbuda auf). Am Abend des 26. März saßen alle unten am Meer, am Strand der Ostsee. Russische Flugzeuge griffen Danzig unablässig an, der gesamte südliche Horizont war eine einzige Kette von Explosionen.
    Die Soldaten versuchten, ihre Gefühle zu beschreiben.
    »An allen Ecken kracht und brennt es. Ich schreibe dies um Mitternacht; wir sitzen voller Unruhe am Meeresstrand und wissen keinen Ausweg.«
    Danzig war Deutschlands größter Ostseehafen. Es war der letzte und wichtigste Hafen, der Fluchtweg für Zivilisten und Militärs, die durch die russische Offensive abgeschnitten worden waren. Annähernd eine Million Menschen drängten sich jetzt in Danzig. Das deutsche OKW erklärte, »jeder Quadratmeter des Gebietes Danzig-Gotenhafen muss bis zuletzt verteidigt werden«. Über der Stadt lag ein schwerer Bombenteppich.
    Über den weiteren Verlauf der Dinge gibt es mehrere Versionen. Der exakte Verlauf ist nicht ohne Bedeutung, da später Stimmen laut werden sollten, die Balten seien Deserteure der deutschen Wehrmacht.
    Eine der Versionen ist einfach und verhältnismäßig unkompliziert. Sie lautet wie folgt.
    Am Morgen des 27. März begab sich der lettische SS-Verband an die Weichsel-Mündung. Im Lauf der Nacht war einer seiner Offiziere auf Umwegen mit den Kapitänen dreier lettischer Schiffe in Kontakt gekommen. Die Schiffe lagen auf der Reede verankert, nachdem sie zuvor deutsche Truppen aus dem jetzt abgeschnittenen Kurland-Kessel herausgebracht hatten: das lag nun schon einige Wochen zurück, die Schiffe waren hier liegengeblieben und befanden sich ihrerseits in einem Kessel. Sie hießen »Alnis«, »Augusts« und »Potrimbs«. Es waren alte und fast ausrangierte Flussdampfer, aber sie waren noch immer zu gebrauchen. Nach mehrstündigen Verhandlungen erklärten sich die Kapitäne mit der Einschiffung der lettischen Soldaten einverstanden, und am selben Tag, dem 27. März, lichteten die Schiffe gegen 12 Uhr mittags
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