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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten
Autoren: Per Olov Enquist
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verallgemeinern. Unter den Letten in deutschen Diensten waren bestimmte Gruppen, die hinter der Front in deutschen Polizeiverbänden dienten. Sie waren unter anderem mit »Säuberungs-Aktionen« beschäftigt, und ihre Geschichte ist nicht sehr schön; die meisten waren Freiwillige. Bei den Frontsoldaten sieht es ganz anders aus. Die Offiziere hatten sich in ihrer überwiegenden Mehrheit freiwillig gemeldet, die Mannschaften dagegen waren zwangsrekrutiert worden. Zur ideologischen Einstellung der lettischen Soldaten kann man vielleicht sagen, dass ein Teil der Offiziere pro-faschistisch eingestellt war, während die unteren Dienstgrade anti-faschistisch dachten. Lettische Geschichtsbücher, die nach Kriegsende im Westen erschienen, betonen, dass viele Offiziere bis zuletzt an den deutschen Endsieg glaubten.
    Die einberufenen Gemeinen hatten nur die Wahl zwischen dem Dienst in den lettischen SS-Legionen und Zwangsarbeitslagern. Nach und nach wurde der Ton schärfer, im letzten Kriegswinter wurden einige Letten hingerichtet; es sollten Exempel statuiert werden. Diese Exekutionen waren jedoch recht selten.
    Folgendes sollte noch gesagt werden: es waren in der Hauptsache Letten, die die Zwangsmobilisierung betrieben. In keinem anderen Land Europas hatten die Deutschen mit der Mobilisierung ein derart leichtes Spiel. Dahinter stand nicht nur der Druck der Deutschen, sondern auch die große Zahl deutschfreundlicher Letten, von denen später viele nach Westen flüchteten.
    Noch einmal: nach Schweden kamen nicht nur Kollaborateure. Es gab sie zwar auch, aber die Zahl der Freiwilligen unter den Legionären lässt sich nicht feststellen. Ebenso unmöglich ist es, die politische Einstellung der zivilen Flüchtlinge zu beurteilen.
    Die lettischen Legionäre, die von Danzig und Bornholm nach Schweden gekommen waren, hatten alle der 15. Lettischen SS-Division angehört.
    Im Herbst 1944 war die 15. Lettische SS-Division fast völlig kampfunfähig: sie war zerschlagen und bedurfte dringend einer Reorganisation. Also wurde sie nach Deutschland beordert. Am 15. September verließen die Soldaten Lettland per Schiff und erreichten am 28. Danzig.
    Das weitere Schicksal der Division nach diesem Zeitpunkt ist verblüffend und voller Widersprüche. Sie schien allmählich in kleine und kleinste Einheiten zu zerfallen. Einige von ihnen wurden an der Front eingesetzt, andere schienen sich vorwiegend mit Organisations- und Befestigungsarbeiten zu beschäftigen. An Hand der Tagebücher lassen sich die plötzlichen und verwirrenden Verlegungen leicht verfolgen. September: Konitz. Oktober: Sophienwald. Mitte Oktober: eine Gruppe von Offizieren wird nach Prag beordert, zu Schulungskursen, die meist in der Josefstadt abgehalten werden. November und Dezember: Stationierung in Sophienwald. Januar: Trembor. Februar: kleinere Verlegungen, man nähert sich immer mehr der Küste: Nackel. Ende Februar: ein Teil des Verbands wird in Thorn eingekesselt.
    Der lettische Leutnant P., der sich am 13. Januar 1945 in Trembor ein schönes Araber-Pferd besorgt hatte, ritt in den kommenden Wochen häufig durch die leicht verschneite Landschaft.
    Am 25. Januar sieht er ein Reh, am 26. verbringt er den ganzen Vormittag bei der Jagd zu Pferde, jedoch ohne Erfolg. »Drei hübsche Rehe sprangen in weiter Entfernung vorüber.« Am Abend notiert er: »Wieder unruhige Gedanken.« Am Tage darauf reitet er wieder aus; am Nachmittag verabschiedet er sich von seiner Frau (er ist seit einem halben Jahr verheiratet) und notiert, dass der Abschied diesmal ohne Aufregung vonstatten gegangen sei; seine Frau ist schwanger und will in der Nähe von Berlin Zuflucht suchen. Am Morgen darauf geht er wieder auf die Jagd; danach arbeitet er an einem Organisationsplan für seinen Verband. »Mir ist sehr elend zumute.« Ferner notiert er: »Den ganzen Tag gefaulenzt. Wir hören die Nachrichten von der Front. Unsere lettische Division hat schwere Verluste. Eine unserer Batterien geht wieder an die Front.«
    Mitte Februar scheint die Lage immer verzweifelter zu werden. »Aufwühlende Nachrichten. Die Russen schon in Koniza.« Am Abend des 11. Februar schreibt er in sein Tagebuch: »Ein gutes Mittagessen und ein Glas Bier.« Danach kommt der Schlag. Auf höheren Befehl soll seine Batterie sämtliche Geschütze an einen anderen Verband übergeben. Am 12. Februar: »Am Morgen wurden die Kanonen übergeben. Was sollen wir nun tun?« Am selben Abend wird ein Fest veranstaltet, alle lettischen
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