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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten
Autoren: Per Olov Enquist
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Ausgelieferten um die Zeit in Schweden, eher um ein schwedisches als um ein sowjetisches Dilemma; viele fanden es jedoch zynisch oder naiv, überhaupt den Versuch zu unternehmen, eine Antwort auf die Frage zu finden, was in der hermetisch verschlossenen, gelegentlich jedoch auch zugänglichen Sowjetunion mit den 146 Männern nach der Auslieferung geschehen war.
    Ich habe es trotzdem versucht. Heute, 40 Jahre später, kann ich sagen, dass es möglich war und dass das von mir gezeichnete Bild sich als richtig erwies.
    Nach der Befreiung Lettlands und nachdem das Buch auf Lettisch erschienen war (es war bis 1989 im gesamten Ostblock verboten gewesen), habe ich mit den Männern, die noch am Leben waren, mehrere »Kameradschaftstreffen« gehabt. Besonders erinnere ich mich an einen solchen langen Abend und eine lange Nacht in den 90er Jahren. Es waren aufrichtige Gespräche, die um viele zerstörte Leben kreisten, und zwar in einem Tonfall von Wärme und Trauer. Zusammen mit Männern, deren Leben für immer von dieser Auslieferung bestimmt wurde, die es aber dennoch vermochten und wagten, zurückzublicken.
    Aber das ist selbstverständlich. Sie verstanden ja nicht, wie die schwedische Regierung so handeln konnte, wie sie es tat.
    Dem, was ich damals gerade in dieser Frage schrieb, kann ich heute nur wenig hinzufügen: Was nach der Auslieferung mit den Männern geschah. Über die Ankunft in der Heimat. Etwa 40 der Ausgelieferten wurden zu langen Strafen in Sibirien verurteilt. Die anderen wurden nach sechs Monaten freigelassen, waren aber – und das ist wichtig – in ihrem zivilen Leben weiterhin von der Zeit in der Waffen-SS stigmatisiert. Es ist offenkundig, weshalb die Debatte über die »Heimkehr« – damals wie heute – so hitzig geführt wurde. Es ging ja im Sommer 1945 indirekt auch darum, was mit den etwa 50.000 baltischen Flüchtlingen geschehen sollte, die bei Kriegsende nach Schweden kamen.
    Dieses politische Problem ist noch heute ein wohlgehütetes Geheimnis der schwedischen Politik und wird es wohl bleiben. Vor dem wütenden Konflikt um die Militärbalten im ersten Friedenssommer 1945 gab es in der schwedischen Regierung auch den Gedanken, dass auch die Zivilisten sämtlich in die Sowjetunion zurückgeschickt werden sollten. Die erbitterte Debatte um die Militärbalten brachte sowohl der schwedischen als auch der sowjetischen Regierung ein gewisses Verständnis dafür nahe, welche Hölle auf eine »große« Auslieferung folgen würde.
    Diese Hölle war die Auslieferung von einem politischen Standpunkt aus nicht wert. Das war allen klar. Die zivilen baltischen Flüchtlinge durften bleiben.
    Sie hatten den 146 Ausgelieferten gegenüber eine Dankbarkeitsschuld, die sie nicht vergaßen. Die Behauptung in der Debatte, »man wird sie alle hinrichten«, erwies sich jedoch zum Glück als nicht wahr, aber der Mythos trug auf diese Weise dazu bei, viele zu retten. Jetzt kam ein junger Autor daher und wollte ans Licht bringen, was eigentlich geschehen war. Das hätte er nicht tun sollen.
    Die Auslieferung der Balten war der Beginn des Kalten Krieges in Schweden. Davor war es die Sowjetunion, die uns vor den Nazis gerettet hatte. Danach brachte man die Sowjetunion mit Sklavenlagern und Unterdrückung in Verbindung. Alles konzentrierte sich auf die 146 Mann der lettischen Waffen-SS. Hingegen nicht auf die rund 3000 jungen deutschen Soldaten, die aus Norwegen gekommen waren und jetzt in aller Stille in die Gefangenenlager der Sowjetunion verschifft wurden. Das schwedische Mitgefühl war in dieser Hinsicht selektiv.
    Ich selbst glaubte, dass lettische Forscher oder Schriftsteller 1990, als die Archive geöffnet wurden und die Freiheit kam, die Geschichte unter die Lupe nehmen würden. Es blieb jedoch eher still. Der Grund liegt vielleicht darin, dass der Boden immer noch vermint ist, jetzt aber auf eine andere Weise. Eine kleinere Zahl dieser Männer aus der lettischen Waffen-SS hatte in Polizeiverbänden hinter der Ostfront gedient, sich in der Ukraine und Weißrussland mit »Säuberungen« befasst und gegen Kriegsende die lettische Waffen-SS unterwandert, um ihren Hintergrund zu verbergen. Diese Tatsache bewirkte, dass jede heutige Analyse unangenehme Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg ans Tageslicht befördern würde, einschließlich des Holocaust und der in Lettland prozentual effektivsten Judenausrottung (mit lettischer Hilfe), zu der es in irgendeinem europäischen Land gekommen war.
    Die Auslieferung der
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