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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte
Autoren: Raymond E. Feist
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sie den Bootsmeister durch ihre Schweigsamkeit wissen, daß seine Gegenwart nicht länger benötigt wurde. Der Mann, der in ihr nur eine gleichgültige Zuhörerin für sein Geplauder fand, ließ den dünnen Vorhang herab, der Mara zumindest ein wenig private Atmosphäre verschaffte. Keyoke und Papewaio saßen ihr gegenüber, während die Wachen der Familie um den Baldachin herumstanden; zu ihrer üblichen Aufmerksamkeit hatte sich jetzt noch eine grimmige, kampfbereite Anspannung gesellt.
    Mara schien auf das unruhig wirbelnde Wasser zu starren. »Keyoke, wo ist das Boot meines Vaters … mein eigenes? Und wo sind meine Zofen?« fragte sie.
    »Euer Boot liegt im Hafen von Sulan-Qu, Mylady«, antwortete der alte Krieger. »Ich hielt das Risiko, von den Soldaten der Minwanabi oder ihrer Verbündeten angegriffen zu werden, für geringer, wenn wir einen öffentlichen Kahn benutzen. Der Gedanke, daß Zeugen überleben könnten, hindert sie vielleicht daran, uns als verkleidete Banditen zu überfallen. Und was Eure Zofen betrifft… ich fürchtete, sie könnten sich als Behinderung herausstellen, sollten wir dennoch Schwierigkeiten bekommen.« Keyoke ließ seinen Blick über das Hafengebiet schweifen, während er sprach. »Dieses Schiff wird in der Nacht auf andere Boote stoßen, und so werden wir niemals allein auf dem Fluß sein.«
    Mara nickte, sie hielt ihre Augen ein paar Sekunden geschlossen. »Also gut«, sagte sie dann weich. Sie hatte sich danach gesehnt, sich zurückziehen zu können, und das war auf dieser öffentlichen Barke unmöglich, doch Keyokes Sorgen waren nur zu begründet.
    Es war Lord Jingu zuzutrauen, daß er eine ganze Kompanie Soldaten opferte, nur um die Letzte der Acoma zu vernichten, und sicherlich wäre es kein Problem für ihn, genug Männer gegen Maras Wachen auszuschicken, um sie überwältigen zu können. Aber er würde es nur riskieren, wenn er sich des erfolgreichen Ausgangs ganz sicher sein und den anderen Lords im Hohen Rat vortäuschen könnte, von den Ereignissen nichts gewußt zu haben. Alle, die am Spiel des Rates beteiligt waren, würden zwar zu dem Schluß kommen können, wer einen solchen Mord angeordnet hatte, doch die Form mußte gewahrt bleiben. Würde auch nur ein Reisender entkommen oder ein Krieger der Minwanabi erkannt werden oder würde der Bootsmann einer anderen Barke zufällig eine nicht für seine Ohren bestimmte Bemerkung aufschnappen – es wäre um Jingu geschehen. Wenn öffentlich enthüllt werden würde, daß er an einem solch verräterischen Hinterhalt beteiligt gewesen war, würde er im Rat viel Prestige verlieren. Möglicherweise würden seine »loyalen« Verbündeten sogar den Verdacht hegen, daß er auf dem Weg wäre, die Kontrolle zu verlieren. Dann jedoch hätte er von seinen Freunden genauso viel zu befürchten wie von seinen Feinden. Das waren die unausgesprochenen Regeln des Spiels des Rates. Keyokes Entscheidung für ein öffentliches Transportmittel war also im Grunde eine ebenso wirkungsvolle Abschreckung gegen einen möglichen verräterischen Angriff wie weitere hundert bewaffnete Männer.
    Die Stimme des Bootsbesitzers zerriß die Luft, als er den Sklaven befahl, die Anlegeleinen zu lösen. Einen kurzen Moment holperte und stampfte das Boot, dann glitt es fort aus dem Hafen in die träge wirbelnde Strömung des Flusses. Mara lehnte sich zurück, es war jetzt nicht mehr unangemessen, wenn sie sich ganz offensichtlich entspannte. Die Sklaven trieben die Barke vorwärts; ihre dünnen, sonnengebräunten Körper bewegten sich gleichmäßig zu dem Takt eines einfachen Liedes.
    »Haltet sie in der Mitte«, sang der Steuermann.
    »Stoßt nicht ans Ufer«, antworteten die Ruderer.
    Der Gesang entwickelte einen deutlichen Rhythmus, und der Steuermann ergänzte ihn mit schlichten Versen. »Ich kenne eine häßliche Frau!« rief er.
    »Stoßt nicht ans Ufer!«
    »Ihre Zunge war scharf wie ein Messer!«
    »Stoßt nicht ans Ufer!«
    »Ich betrank mich eines Sommerabends!«
    »Stoßt nicht ans Ufer!«
    »Und nahm sie dann zur Frau!«
    Das schlichte Lied beruhigte Mara, und sie ließ ihre Gedanken treiben. Ihr Vater hatte lange gegen ihren Wunsch, das Gelübde abzulegen, protestiert. Jetzt, wo Entschuldigungen nicht mehr möglich waren, bereute Mara bitterlich, wie nah sie offenem Trotz gekommen war. Ihr Vater hatte nur deshalb nachgegeben, weil die Liebe zu seiner Tochter größer gewesen war als sein Wunsch nach einer politisch sinnvollen Heirat. Ihr Abschied war
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