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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte
Autoren: Raymond E. Feist
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Sänfte. Sie lehnte sich zurück gegen die Kissen, die mit dem Symbol ihrer Familie, dem Shatra-Vogel, bestickt waren, und begriff, wie sehr sie die Rückkehr nach Hause fürchtete. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie die luftigen Räume des großen Hauses jetzt ohne Lanos ausgelassener Stimme auskommen konnten, und sie mochte nicht an die Kissen und Pelze im Arbeitszimmer ihres Vaters denken. Niemals mehr würden dort Schriftrollen liegen, die ihr Vater achtlos fallen gelassen hatte, wenn er zu müde zum Lesen der Berichte geworden war. Mara lächelte leicht, als sie an die Abneigung ihres Vaters für alles Geschäftliche dachte, obwohl er darin sehr fähig gewesen war. Er hatte die Angelegenheiten der Kriegsführung vorgezogen, die Spiele, die Politik; doch sie erinnerte sich auch an seinen Ausspruch, daß alles Geld kostete und der Handel niemals vernachlässigt werden durfte.
    Mara gestattete sich einen beinah hörbaren Seufzer, als die Sänfte emporgehoben wurde. Sie wünschte sich etwas mehr Schutz durch die Vorhänge, als sie im frühen Morgenlicht den Blicken der Bauern und Arbeiter auf den Straßen standhalten mußte. Sie thronten hoch oben auf ihren Gemüsewagen und hinter Marktbuden mit aufgestapelten Waren und sahen zu, wie die große Lady und ihr Gefolge vorbeizogen. Das ständige Achten auf ihre Erscheinung ermüdete Mara, und nur mühsam ertrug sie die unruhige Reise durch die rasch voller werdenden Straßen. Ihre Gedanken schweiften ab, und sie begann zu grübeln, und wenn sie auch nach außen hin wachsam schien, so schenkte sie in Wirklichkeit dem sonst so unterhaltsamen Blick der Stadt keinerlei Aufmerksamkeit.
    Die papiernen Fensterläden der Balkone über ihr wurden beiseite geschoben, als Händler ihre Waren hoch über den Köpfen der Käufer ausstellten. War das Feilschen beendet, wurde der vereinbarte Preis in einem Korb hinaufgezogen und dann im Gegenzug die Waren hinabgelassen. Die offiziell erlaubten Prostituierten schliefen noch, und so blieb jeder fünfte oder sechste Balkon geschlossen.
    Mara lächelte leicht und erinnerte sich daran, wie sie die Frauen der Ried-Welt zum ersten Mal gesehen hatte. Seit Generationen war es üblich, daß die Prostituierten sich auf den Baikonen zeigten. Ihre Gewänder hingen in aufreizender Unordnung um ihre Schultern, wenn sie sich in der immer gegenwärtigen Hitze der Stadt Luft zufächelten. All die Frauen waren wunderschön gewesen, ihre Gesichter in lieblichen Farben bemalt und die Haare nahezu königlich hochgebunden. Selbst die dürftige Kleidung war von kostbarstem Stoff und mit feinster Stickerei versehen. Bei ihrem Anblick war der sechsjährigen Mara spontan ein Freudenschrei entfahren. Allen in Reichweite hatte sie verkündet, daß sie eine von den Frauen auf den Baikonen werden würde, wenn sie erwachsen wäre. Es war das einzige Mal in ihrem Leben, daß sie ihren Vater sprachlos erlebt hatte. Lano hatte sie wegen dieses Zwischenfalls bis zu dem Morgen, als sie zum Tempel aufgebrochen war, aufgezogen. Jetzt würden seine spielerisch-harmlosen Sticheleien sie nie mehr beschämen können.
    Die Trauer rührte Mara beinahe zu Tränen, und sie wandte sich von den Erinnerungen ab. Sie suchte Ablenkung außerhalb der Sänfte, wo schlaue Straßenhändler an den Ecken ihre Waren von Schubkarren verkauften, Bettler ihre Geschichten voller unglücklicher Ereignisse den Vorbeigehenden aufdrängten, Jongleure lustige Kunststücke vorführten und Händler seltene, wunderschöne Seide anboten. Aber all dies reichte nicht, um ihre Seele vor dem Schmerz zu schützen.
    Schließlich blieb das geschäftige Treiben des Marktes hinter ihnen zurück, und sie verließen die Stadt. Im Süden von Sulan-Qu erstreckte sich bebautes Acker-und Weideland bis zu den bläulichen Bergen am Horizont; die Kyamaka-Bergkette war zwar nicht so zerklüftet und auch nicht so hoch wie der Hohe Wall im Norden, doch die Täler waren wild genug, um Banditen und Gesetzlosen Unterschlupf bieten zu können.
    Die Straße zu Maras Gütern führte durch einen Sumpf, der sich allen Versuchen, ihn trockenzulegen, hartnäckig widersetzt hatte. Ganze Schwärme von Insekten fielen hier über die Träger her, die ihrem Unmut lautstark Luft machten. Eine drastische Zurechtweisung von Keyoke brachte sie zum Schweigen.
    Dann führte der Weg durch eine Gruppe von Ngaggi-Bäumen, deren große Äste ein Dach aus grünblauem Schatten formten. Die Reisenden kamen jetzt durch hügeligeres Land und
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