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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten
Autoren: Stanislaw Lem
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Wagen über Trümmerfelder zu schieben ...
    Ich schrak plötzlich aus dem Halbschlaf auf mit dem Gedanken, daß noch etwas zu tun sei – die Batterie im Reflektor mußte ausgewechselt werden. Als ich richtig zu mir gekommen war, merkte ich, daß es Blödsinn war, daran zu denken. Ärgerlich über mich selbst, schloß ich wieder die Augen. – Ich bin zu Hause, eine dunkle Oktobernacht – kalt – aber ich schlafe gern bei offenem Fenster. Stille – kaum hörbar schwebt der Wind in den Zweigen. Um acht Uhr früh soll ich nach Kairo fliegen. Da kann ich noch bis zum Morgendämmern ruhig schlafen ... Ich versuchte es mir einzureden; aber es half nichts. Nun schaute ich doch wieder auf die Uhr: drei Viertel sieben. Auf einmal fiel mir ein, daß Arsenjew mit Vornamen Pjotr hieß. Nie mehr war er mir in den letzten Wochen so nahe gewesen, wie damals während der Reise.
    »Pjotr«, sagte ich.
    Er antwortete sofort. »Was?«
    »Nichts ...«, sagte ich leise. – »Ich wollte nur wissen, ob du schläfst.«
    So verging langsam die Nacht. Gegen Morgen schlief ich ein; aber es war kein Ausruhen. Ich wachte mit dem Gefühl auf, daß etwas Furchtbares geschehen war. Meine Hände strichen über den nackten Fels. Es war kühl. Ich schaltete den Scheinwerfer ein.
    Arsenjew lag auf dem Rücken. Er wirkte noch riesenhafter als sonst. Seine graue Kombination war zerknittert und mit Kalkflecken bedeckt. Er schlief nicht.
    »Es ist fünf«, sagte er und blickte mich durch das Fenster des Helms an, »fünf Uhr früh.«
    »War in der Nacht nichts zu hören?«
    Ich wußte genau, daß unsere Gefährten, selbst dann, wenn sie uns suchten, uns nicht finden würden; aber ich fragte trotzdem.
    »Nein.« Arsenjew stand auf.
    »Wohin gehst du denn?«
    »Ich seh mir den Felsen an.«
    Seine Schritte verhallten, dann wurde es still, sehr lange ... Der unbewegliche runde Strahlenkegel von Arsenjews Reflektor erleuchtete den Felsschlund nur bis zur Biegung und schimmerte als schmaler Lichtstreif zu mir herüber. Große flache Schatten hingen wie vertrocknete Fledermäuse an der Decke. Mich packte die Angst. Ich rief. Die Schritte kehrten zurück.
    »Was ist denn los?«
    Ich antwortete nicht. Nun, da es wieder hell um mich war, atmete ich tief auf. Ich erhob mich und begann hin und her zu gehen, von der einen Seite der Grotte bis zur anderen.
    »Setz dich hin«, sagte Arsenjew, »du machst dich unnütz müde. Außerdem verbrauchst du mehr Luft, wenn du dich bewegst.«
    »Ich will ja mehr verbrauchen!« rief ich. Sein Gleichmut reizte mich. Ich mußte mich zwingen, um ruhig zu bleiben. Ich setzte mich wieder hin.
    Arsenjew brachte seinen Skaphander in Ordnung, er strich Falte für Falte glatt, lockerte die Riemen und zog alles, was er in den Taschen hatte, heraus. Ein Täfelchen Traubenzucker, ein Notizbuch, Streichhölzer, den Elektrometer und einen kleinen Revolver, der wie ein Spielzeug aussah.
    Er trug ihn stets bei sich; denn es war ein Geschenk, das ihmjemand vor dem Abflug überreicht hatte, mit der scherzhaften Widmung: »Zur Jagd auf das Venuswild.«
    Arsenjew wog den Traubenzucker auf der Hand.
    »Hast du noch deinen?«
    »Nein, ich hab ihn schon im Wagen gegessen.«
    »Schade.«
    Dieses Bedauern wegen einer Handvoll Zucker wunderte mich. Ich wollte ihm schon eine bittere Antwort geben, besann mich aber und schwieg. Arsenjew nahm eine Patrone aus dem Revolver. Ich glaubte zu wissen, was er im Sinn hatte.
    »Das nützt nichts«, sagte ich. »Damit kann man das Fulgurit nicht entzünden.«
    Arsenjew schaltete seinen Reflektor ein. Der leuchtete nur noch schwach. »Meine Batterie macht auch nicht mehr lange«, sagte er. »Schalte das Licht aus!«
    Wieder umgab uns die Finsternis wie eine Mauer. Ich hatte das Gefühl, als wäre mein Körper endlos, als ginge er ohne jede Begrenzung in das Dunkel über. Grüne Flecken quollen unter meinen Lidern hervor, sanken als grelle Funken zu Boden. Leise tickte die Uhr. Die Stunden verrannen: neun, zehn, elf ...
    Plötzlich fragte Arsenjew so unerwartet, daß ich zusammenschrak: »Wen hast du auf der Erde?«
    Ich überlegte eine Sekunde, es war schon alles so weit, so fern.
    »Meinen Vater.«
    »Sonst niemanden?«
    »Niemanden.«
    »Ich habe dort meine Frau, du weißt ja ...« Hastig fuhr er fort. Ich sollte wohl nicht glauben, er sage dies aus Sorge und Leid. »Ich habe nämlich gerade eine Berechnung durchgeführt, und dabei mußte ich an sie denken. Als ich sie kennenlernte, unterhielten wir uns über
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