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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Autoren: Frank McCourt
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sich geben, geschweige denn sprechen. Aber selbst wenn er könnte, würde niemand zuhören, weil wir zwei neue Babys haben, die mitten in der Nacht von einem Engel vorbeigebracht worden sind. Die Nachbarn sagen, ooh, aah, das sind aber niedliche Buben, seht euch mal die großen Augen an.
    Malachy steht mitten im Zimmer, sieht von unten alle Leute an, zeigt auf seine Zunge und sagt, ugk, ugk. Als die Nachbarn sagen, siehst du nicht, daß wir uns deine kleinen Brüder ansehen? weint er, bis Dad ihm den Kopf tätschelt. Zieh die Zunge ein, mein Sohn, geh vor die Tür und spiel mit Frankie. Nun mach schon.
    Auf dem Spielplatz berichte ich Malachy von dem Hund, der auf der Straße gestorben ist, weil ihm jemand einen Ball ins Maul geschlagen hat. Malachy schüttelt den Kopf. Kein ugk Ball. Auto ugk Hund ügkerfahren. Er weint, weil seine Zunge weh tut und er kaum sprechen kann und es schrecklich ist, wenn man nicht sprechen kann. Er setzt sich auf die Schaukel und will nicht, daß
ich ihn anschubse. Er sagt, auf der ugk Wippe wolltest du mich ugkbringkn. Freddie Leibowitz soll ihn anschubsen, und er ist glücklich und lacht und schaukelt bis zum Himmel hoch. Freddie ist schon groß, er ist sieben, und ich bitte ihn, daß er mich auch anschubst. Er sagt, nein, du hast versucht, deinen Bruder umzubringen.
    Ich versuche, die Schaukel allein in Schwung zu bringen, aber mehr als ein bißchen Auf und Ab schaffe ich nicht, und ich bin sauer, weil Freddie und Malachy darüber lachen, wie ich nicht schaukeln kann. Sie sind jetzt dicke Freunde, Freddie sieben, Malachy zwei. Sie lachen jeden Tag, und Malachys Zunge geht es von dem vielen Lachen immer besser.
    Wenn er lacht, kann man sehen, wie weiß und klein und hübsch seine Zähne sind, und man kann sehen, wie seine Augen leuchten. Er hat blaue Augen wie meine Mutter. Er hat goldenes Haar und rosa Backen. Ich habe braune Augen wie Dad. Ich habe schwarze Haare, und meine Backen sind im Spiegel weiß. Meine Mutter sagt zu Mrs. Leibowitz im selben Stock, daß Malachy das glücklichste Kind von der ganzen Welt ist. Sie sagt zu Mrs. Leibowitz im selben Stock, daß Frankie diese komische Art hat, genau wie sein Vater. Ich wüßte gern, was die komische Art ist, aber ich kann nicht fragen, weil niemand wissen darf, daß ich heimlich zuhöre.

    Ich würde gern bis in den Himmel hoch schaukeln, bis in die Wolken. Dann könnte ich vielleicht um die ganze Welt fliegen und müßte mir nicht mehr anhören, wie meine beiden neuen Brüder, Oliver und Eugene, mitten in der Nacht weinen. Meine Mutter sagt, sie haben immer Hunger. Sie weint auch mitten in der Nacht. Sie sagt, sie kann nicht mehr, Stillen und Füttern und Windelnwechseln und vier Jungs sind zuviel für sie. Lieber hätte sie ein kleines Mädchen ganz für sich allein. Für ein einziges kleines Mädchen würde sie alles geben.
    Ich bin mit Malachy auf dem Spielplatz. Ich bin vier, er ist drei. Ich darf ihn anschubsen, weil er noch nicht gut von selber schaukeln kann und weil Freddie Leibowitz in der Schule ist. Wir müssen auf dem Spielplatz bleiben, weil die Zwillinge schlafen und weil meine Mutter sagt, sie kann nicht mehr. Geht spielen, sagt sie, und gönnt mir ein bißchen Ruhe. Dad ist wieder unterwegs und sucht Arbeit, und manchmal riecht er nach Whiskey, wenn er nach Hause kommt und all die Lieder vom notleidenden Irland singt. Dann wird Mam wütend und sagt, Irland kann sie mal am Arsch lecken. Er sagt, das sind ja schöne Ausdrücke, und das in Gegenwart der Kinder, und sie sagt, er soll sich mal um die Ausdrücke keine Sorgen machen, sie will was zu essen auf den Tisch und kein notleidendes Irland. Sie sagt,
das war ein trauriger Tag, an dem die Prohibition aufgehoben wurde, denn jetzt kommt Dad an seine Getränke, indem er die Runde durch die Kneipen macht und sagt, für einen Whiskey oder ein Bier fegt er die Gaststätte oder schleppt Fässer. Manchmal bringt er was von seinem kostenlosen Mittagessen mit nach Hause, Corned beef auf Roggenbrot, saure Gurken. Er legt das Essen auf den Tisch und trinkt selber Tee. Er sagt, Nahrung ist ein Schock für den Verdauungsapparat, und er weiß nicht, woher wir immer unseren Appetit haben. Mam sagt, ihren Appetit haben sie daher, daß sie fast immer am Verhungern sind.
     
     
    Wenn Dad Arbeit findet, ist Mam fröhlich, und dann singt sie:
    Von deinem Mund wollte ich einen Kuß.
Aus gutem Grund sagte ich mir: Ich muß!
Denn ich trau mir nicht zu,
Daß jemand wie du
Mich lieben
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