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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Autoren: Frank McCourt
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Fabrikpfeife ertönt, schwärmen Männer mit Mütze und Blaumann
durch das Tor, Gesichter und Hände schwarz von der Arbeit. Mam sagt uns, paßt genau auf, wann Dad kommt, weil sie kaum bis über die Straße sehen kann, so schlecht sind ihre Augen. Erst kommen Dutzende von Männern, dann noch ein paar, dann keiner mehr. Mam weint, warum habt ihr ihn nicht gesehen? Seid ihr blind oder was?
    Sie geht wieder zu dem Mann im Kasten. Ist auch bestimmt keiner mehr drin?
    Nein, Lady, sagt er. Alle draußen. Ich weiß auch nicht, wie er sich an Ihnen vorbeigedrückt hat.
    Wir gehen zurück, durch die langen Straßen von Brooklyn. Die Zwillinge halten ihre Flaschen in die Luft und brüllen nach mehr Zuckerwasser. Malachy sagt, er hat Hunger, und Mam sagt, warte noch ein bißchen, dann gibt Dad uns Geld, und dann gibt es für uns alle ein schönes Abendessen.
    Wir werden zu dem Italiener gehen und Eier holen und mit den Flammen auf dem Herd Toast machen, und da kommt dann Marmelade drauf. Genauso werden wir es machen, und wir werden es warm und gemütlich haben.
    Auf der Atlantic Avenue ist es dunkel, und alle Kneipen um den Bahnhof der Long Island Railroad herum sind hell und laut. Wir gehen von einer Kneipe zur anderen und suchen Dad. Mam läßt uns mit dem Kinderwagen draußen stehen, wenn sie hineingeht, oder sie schickt mich hinein.
Dort sind Massen lärmender Männer und abgestandene Gerüche, die mich an Dad erinnern, wenn er nach Hause kommt und den Geruch des Whiskeys an sich hat.
    Der Mann hinterm Tresen sagt, na, Kleiner, was willst du? Du darfst hier gar nicht rein, weißt du das?
    Ich suche meinen Vater. Ist mein Vater da?
    Nee, Kleiner, woher soll ich das denn wissen? Wer ist denn dein Vater?
    Er heißt Malachy und er singt Kevin Barry.
    Malarkey?
    Nein, Malachy.
    Malachy? Und er singt Kevin Barry?
    Er ruft den Männern in der Kneipe zu, he, ihr da, kennt ihr einen Malachy, der Kevin Barry singt?
    Männer schütteln den Kopf. Einer sagt, er kannte mal einen Michael, der Kevin Barry gesungen hat, aber der ist an den Getränken gestorben, die er wegen seiner Kriegsverletzungen zu sich nehmen mußte. Der Barmann sagt, Mensch, Pete, du solltest mir ja nicht die ganze Geschichte der Welt erzählen oder wie. Nein, Kleiner, wir lassen hier keinen singen. Macht nur Ärger. Besonders bei den Iren. Kaum singen sie, schon fliegen die Fäuste. Außerdem hab ich hier noch nie von einem Malachy gehört. Nein, Kleiner, hier gibt es keinen Malachy.

    Der Mann, der Pete heißt, hält mir sein Glas hin. Hier, Kleiner, trink mal, aber der Barmann sagt, was soll das denn, Pete? Versuchst das Gör besoffen zu machen? Noch einmal, und ich reiß dir den Arsch auf, Pete.
    Mam versucht es in allen Kneipen um den Bahnhof herum, bevor sie aufgibt. Sie lehnt sich gegen eine Mauer und weint. Jesus, jetzt müssen wir noch den ganzen Weg bis zur Classon Avenue gehen, und ich habe vier hungerleidende Kinder. Sie schickt mich zurück in die Bar, in der Pete mir einen Schluck angeboten hat, damit ich den Barmann frage, ob er vielleicht die Flaschen der Zwillinge mit Wasser füllen kann und vielleicht noch in jede ein bißchen Zucker geben. Die Männer in der Bar finden es sehr komisch, daß der Barmann in Babyflaschen einschenken soll, aber er ist groß und sagt ihnen, sie sollen die Backe halten. Er sagt zu mir, Babys sollten Milch trinken, kein Wasser, und als ich ihm sage, Mam hat kein Geld für Milch, gießt er die Babyflaschen aus und füllt sie mit Milch. Er sagt, sag deiner Mutter, das brauchen sie für die Zähne und die Knochen. Von Zuckerwasser kriegt man nur Rachitis. Sag das deiner Mutter.
    Mam freut sich über die Milch. Sie sagt, sie weiß alles über Zähne und Knochen und Rachitis, aber in der Not frißt der Teufel Fliegen.
    Als wir die Classon Avenue erreichen, geht sie
direkt in den italienischen Laden. Sie sagt dem Italiener, ihr Mann kommt heute später, wahrscheinlich macht er Überstunden, und ob es wohl irgendwie möglich ist, ein paar Kleinigkeiten zu bekommen, und morgen kommt sie ganz bestimmt?
    Der Italiener sagt, Missus, früher oder später zahlen Sie immer, und Sie können alles haben, was es in diesem Laden gibt.
    Ich will ja gar nicht viel, sagt sie.
    Alles, was Sie wollen, Missus, denn ich weiß, daß Sie eine ehrliche Frau sind und einen Haufen liebe Kinderchen haben.
    Es gibt Eier und Toast und Marmelade, und wir kriegen die Zähne kaum noch zum Kauen auseinander, so müde haben uns die langen Straßen von
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