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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Autoren: Frank McCourt
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Avenue in Brooklyn. Er ist zwei, ich bin drei. Wir sitzen auf der Wippe.
    Rauf, runter, rauf, runter.
    Malachy wippt rauf. Ich steige ab.
    Malachy wippt runter. Wippe haut auf den Boden. Er schreit. Er hat die Hand auf dem Mund. Blut.
    O Gott. Blut ist schlimm. Meine Mutter bringt mich um.
    Und da ist sie schon, sie trabt über den Spielplatz. Wegen ihres dicken Bauches kann sie nicht so schnell.
    Sie sagt, was hast du da gemacht? Was hast du dem Kind angetan?
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, was ich gemacht habe.
    Sie zieht mich am Ohr. Geh nach Hause. Geh ins Bett.
    Bett? Am hellichten Tag?
    Sie schubst mich zum Ausgang. Geh.
    Sie hebt Malachy auf und watschelt davon.

     
     
    Mr. McAdorey, ein Freund meines Vaters, steht vor unserem Haus. Er steht mit seiner Frau Minnie am Rand des Bürgersteigs und betrachtet einen Hund, der im Rinnstein liegt. Am Kopf des Hundes ist überall Blut. Es hat dieselbe Farbe wie das Blut aus Malachys Mund.
    Malachy hat Hundeblut, und der Hund hat Malachy-Blut.
    Ich zupfe Mr. McAdorey an der Hand. Ich sage ihm, daß Malachy auch so ein Blut hat wie der Hund.
    Ja, stimmt, Francis, tatsächlich, sagt er. Katzen auch. Und Eskimos. Alles das gleiche Blut.
    Minnie sagt, laß das, Dan. Bring den kleinen Kerl nicht durcheinander. Sie sagt mir, der arme kleine Hund sei von einem Auto überfahren worden und hätte sich den ganzen Weg von der Mitte der Fahrbahn bis zum Rinnstein geschleppt, bevor er starb. Wollte nach Hause, die arme kleine Kreatur.
     
     
    Mr. McAdorey sagt, geh lieber nach Hause, Francis. Ich weiß nicht, was du mit deinem kleinen Bruder angestellt hast, aber deine Mutter hat ihn ins Krankenhaus gebracht. Geh nach Hause, Kind.
    Stirbt Malachy jetzt auch? Wie der Hund, Mr. McAdorey?

    Minnie sagt, er hat sich auf die Zunge gebissen. Daran stirbt er nicht.
    Warum ist der Hund gestorben?
Seine Zeit war gekommen, Francis.
    Die Wohnung ist leer, und ich wandere zwischen den beiden Zimmern auf und ab, dem Schlafzimmer und der Küche. Mein Vater ist auf Arbeitsuche, und meine Mutter ist mit Malachy im Krankenhaus. Ich hätte gern etwas zu essen, aber im Eisschrank schwimmen nur ein paar Kohlblätter im geschmolzenen Eis. Mein Vater hat gesagt, iß nie etwas, was im Wasser schwimmt, wegen der Fäulnis, die im Wasser sein könnte. Ich schlafe auf dem Bett meiner Eltern ein, und als meine Mutter mich wachrüttelt, ist es schon fast dunkel. Dein kleiner Bruder wird jetzt lange schlafen. Hätte sich beinahe die Zunge abgebissen. Mußte genäht werden. Jede Menge Stiche. Geh ins andere Zimmer.
    Mein Vater sitzt in der Küche und trinkt schwarzen Tee aus seiner großen weißen Emailletasse. Er hebt mich auf seinen Schoß.
    Dad, erzählst du mir die Geschichte von Kuu … Kuu …?
    Cuchulain. Sprich es mir nach: Kuu-huu-lin. Ich erzähl dir die Geschichte, wenn du den Namen richtig sagst. Ku-hu-lin. Ich sage ihn richtig,
und er erzählt mir die Geschichte von Cuchulain, der als Junge noch anders hieß: Setanta. Er wuchs in Irland auf, wo Dad auch gewohnt hat, als er noch ein Junge war, in der Grafschaft Antrim. Setanta hatte einen Stock und einen Ball, und eines Tages schlug er den Ball mit seinem Stock, und der Ball flog einem großen Hund, der Culain gehörte, ins Maul, und der Hund erstickte. Oh, Culain war wütend, und er sagte, was soll ich nun machen ohne meinen großen Hund, der mein Haus und meine Frau und meine zehn kleinen Kinder bewacht und beschützt hat sowie zahlreiche Schweine, Hühner und Schafe?
    Setanta sagte, es tut mir leid. Ich werde dein Haus hüten, mit meinem Stock und mit meinem Ball, und ich werde meinen Namen ändern und fortan Cuchulain heißen, der Hund des Culain. So geschah es. Er hütete das Haus und die Gebiete, die jenseits davon lagen, und wurde ein großer Held, der Hund von Ulster persönlich. Dad sagte, er war ein größerer Held als Herkules oder Achilles, mit denen die Griechen immer prahlen, und in einem fairen Kampf konnte er es sogar mit König Artus und all seinen Rittern aufnehmen, aber ein fairer Kampf ist natürlich von einem Engländer ein bißchen viel verlangt.
    Das ist meine Geschichte. Malachy oder den anderen Kindern auf unserer Etage kann Dad die Geschichte nicht erzählen.

    Er erzählt die Geschichte zu Ende, und ich darf einen Schluck von seinem Tee trinken. Er ist bitter, aber dort, auf seinem Schoß, bin ich glücklich.
     
     
    Malachys Zunge ist noch tagelang geschwollen, und er kann kaum einen Laut von
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